„In Wirklichkeit will niemand Kritik hören, schon gar nicht in der Position als Chef.“
(Dorothea Assig)
Konstruktive Kritik: Kurzschluss im Gehirn?
Unsere Einstellung zu Feedback ist äusserst zwiespältig. Niemand möchte bewertet oder gar kritisiert werden. Gleichzeitig bestehen wir auf dem Recht, die eigene Meinung zu allen möglichen Themen äussern und gegenüber anderen Menschen ausdrücken zu dürfen. Mit anderen Worten: Wir tun regelmässig das, was wir anderen uns gegenüber nicht erlauben!
Wie kommt dieser Widerspruch zustande? Und: Warum fällt es Menschen sogar bei konstruktiver Kritik schwer, diese anzunehmen? Die folgenden Abschnitte bringen wenig bekannte Fakten ans Licht – und zeigen, wie Sie das neue Wissen konkret einsetzen.
Konstruktive Kritik: gut gemeint und trotzdem schwer verdaulich
Kennen Sie solche Momente? Sie erhalten einen gut gemeinten Hinweis, eine kritische Leistungsbewertung oder hören den Anfang eines Kommentars «Ihre Ausführungen waren wirklich interessant …» – und die Atmosphäre zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber kühlt merklich ab.
Wie reagieren Sie? Geben Sie eine Erklärung und verweisen zum Beispiel auf die kurze Vorbereitungszeit? Oder verteidigen Sie sich, indem Sie Ihrem Kritiker entgegenhalten, sie seien kurzfristig für eine Kollegin eingesprungen? Womöglich setzen Sie auch zum Gegenangriff an: «Sie können gerne im nächsten Meeting einen besseren Vortrag halten.»
Die meisten Menschen reagieren wenig erfreut und nehmen Feedback nicht nüchtern und sachlich an.
INFOVERANSTALTUNG BESUCHEN
BROSCHÜRE HERUNTERLADEN
EINBLICK INS STUDIUM – STUDIERENDE BERICHTEN
Feedbackgespräch: Emotionen schwingen immer mit
Im beruflichen Umfeld gilt Feedback als notwendiger Motor für die persönliche Weiterentwicklung. Doch egal wie sachlich und konstruktiv die Botschaft formuliert ist: Sie ruft eine emotionale Reaktion hervor. Der Grund: Menschen haben das grundlegende Bedürfnis, sich akzeptiert zu fühlen und dass ihre Leistung als ausreichend bewertet wird.
Jede Kritik erzeugt negative Gefühle. Solche unangenehmen Gefühle sorgen dafür, dass sich eine Person in ihrem Selbstwert angegriffen fühlt. Zusätzlich meldet sich in diesem Moment häufig der innere Kritiker, der die eigene Unvollkommenheit erfahrungsgemäss knallhart anprangert.
Die Folge: Sobald sich eine Person zum Beispiel betroffen, entmutigt, wütend, unzufrieden oder hilflos fühlt, bildet sich eine innere Blockade. Diese steht dem Ziel des Feedbacks im Weg, nämlich einen Lernprozess zu initiieren und positive Veränderungen anstossen.
Konstruktive Kritik und das menschliche Gehirn
Konstruktive Kritik ist ein riesiger Trend. Sie birgt jedoch Fallstricke, von denen wir zwei wenig Bekannte hier aufzeigen möchten.
Konstruktiv + Kritik = ein Widerspruch in sich?
Genau genommen stellt «konstruktive Kritik» für das menschliche Gehirn eine Überforderung dar: Einerseits soll die Kritik nützlich und aufbauend sein, andererseits bedeutet Kritik auch Tadel und Korrektur. Diese gegensätzlichen Impulse lösen eine Art Hin- und Her-Schalten zwischen verschiedenen Netzwerken im Hirn aus und führen dazu, dass der Geist die Bedeutung der Aussage nicht richtig zuordnen kann. Man könnte auch von einem Kurzschluss sprechen.
Da das menschliche Gehirn darauf ausgerichtet ist, Gefahren sofort zu erkennen, gewichtet es negative Informationen stärker als positive. Folglich kann «konstruktive Kritik» nicht in seiner Ganzheit verarbeitet werden. Dass das Gespräch eine negative Botschaft enthält, kommt bei der betroffenen Person trotzdem an. Die emotionale Reaktion lässt nicht auf sich warten.
Was bedeutet das nun für Ihren Praxisalltag?
Learning 1: Formulierung des Feedbacks verändern
Formulieren Sie die Kritik als persönliche Wahrnehmung: «Ich bin der Ansicht, …». Anschliessend geben Sie konkrete Hinweise, wie der Empfänger Ihr Feedback für sich gewinnbringend umsetzen kann. Ein Beispiel; stellen Sie Fragen: «Bist du zufrieden mit deinem Referat?» Wenn nein: «Was würdest Du beim nächsten Vortrag anders machen?» Holen Sie sich die «Erlaubnis» für ein Feedback ein. Die Frage brauchst du Unterstützung, ist ein guter Türöffner: «Im Referat standen die Fakten X. Y. zu fest im Vordergrund. Die Zuhörenden brauchen mehr Praxisbeispiele, welche könntest du beim nächsten Vortrag ausführlicher herausstellen? Wir Zuhörer/innen können uns dadurch intensiver mit den uns betreffenden Inhalten auseinandersetzen und müssen weniger Fragen stellen.»
Mit dieser Art von Formulierung werden die Aussagen nicht verknüpft, sondern im Gehirn als eigenständige Einheiten verarbeitet.
Learning 2: Feedback ist nicht sachlich.
«In vielen Unternehmen gilt ein regelrechter „Mythos der Sachlichkeit“. Sätze wie „Bitte lassen Sie uns sachlich bleiben!“ oder „Gefühle spielen bei dieser Entscheidung keine Rolle“ sind beinahe alltäglich. Bereits Kinder werden ermahnt: „Sei doch vernünftig!“. Weshalb ist unser Umgang mit Gefühlen oft durch Hilflosigkeit geprägt? Gefühle haben immer einen Anteil Unberechenbarkeit. Sachlichkeit hingegen wird mit Klarheit und Vorausschaubarkeit verbunden. Emotionen erscheinen in diesem Zusammenhang als Hindernis und Störung.»[1]
Menschen wollen Situationen kontrollieren, Gespräche sollen nicht aus dem Ruder laufen. Deshalb halten Sie sich an Aufforderungen wie «lass uns sachlich bleiben» fest. Derartige Worthülsen erfüllen selten ihren Zweck. Emotionen lassen sich nicht ausblenden – das ist weder notwendig noch sinnvoll. Ein nützliches und wohlwollendes Gespräch braucht Gefühle!
Sinnvolles Feedback löst Lernprozesse aus
Wenn Sie Feedback geben, möchten Sie bei Ihren Gesprächspartner/innen langfristige Lernprozesse auslösen. Dazu braucht es Veränderungen im Denken und Verhalten. Diese geschehen nur freiwillig und aus innerer Überzeugung. Angst oder Druck hemmen das Potenzial und wirken sich destruktiv aus. Persönliches Wachstum braucht Lernfreude.
Learning 3: Offenheit ist zwingend erforderlich
Nur mit einer offenen Haltung können Gespräche eine Veränderung auslösen. Jegliches Abblocken, Ohren-verschliessen oder den-Rollladen-herunterlassen lässt Feedbackgespräche scheitern. Eine Person, die sich in ihrem Selbstwert angegriffen fühlt, konzentriert sich nicht auf den Inhalt des Gesagten. Sie ist damit beschäftigt, ihr inneres Gleichgewicht zu stabilisieren.
Die hohe Kunst eines Feedbackgesprächs besteht folglich darin, die Zuhörbereitschaft aufrechtzuerhalten, selbst wenn unangenehme Dinge angesprochen werden. Dafür bedarf es hoher sozialer Fähigkeiten und eines guten Gespürs für Menschen. Es reicht nicht aus, sich an Feedbackregeln zu halten – die innere Haltung muss stimmen.
Feedback formulieren: so entwickeln Sie die richtige Haltung
Die passende innere Haltung entsteht, während Sie sich auf das Feedbackgespräch vorbereiten. Folgende Aspekte spielen dafür eine zentrale Rolle:
- Bieten Sie Ihrem Gegenüber Feedback an, ohne die Kritik sofort zu äussern.
- Gewähren Sie dem Gesprächspartner, der Gesprächspartnerin eine Bedenkzeit.
- Formulieren Sie Ihre Kritik so, dass Sie diese selbst annehmen würden.
Im Anschluss klären Sie für sich diese Fragen:
- Was möchte ich mit dem Feedback erreichen? Warum möchte ich es geben?
- Wie tragfähig ist die Beziehung?
- Welche Reaktion erwarte ich?
Überlegen Sie, wie Sie Ihr Gegenüber dabei unterstützen können, einen Schritt weiter zu gehen, sich zu entwickeln. Die meisten Menschen können gut analysieren und Anhaltspunkte für ihre Kritik liefern. Dies allein reicht nicht, um Lernprozesse auszulösen. Es bedarf weiterführender Impulse, um das konstruktive Potential des Empfängers in Bewegung zu setzen.
Geben Sie Feedback immer mündlich und persönlich, nicht per E-Mail oder Telefon. Achten Sie auf die (non-)verbale Sprache. Fühlen Sie sich ein. Nicht vergessen: Der Mensch ist nur lernfähig in einem guten Gesprächsklima.
Feedback annehmen: ein Gewinn für beide Seiten
Nun geht es darum, Ihre eigene Haltung zu konstruktiver Kritik zu reflektieren. Sind Sie selbst offen für Feedback? In jedem Fall gewinnen Sie dadurch neue Erkenntnisse. Aus diesem Grund zählt Offenheit für Feedback zu den Eigenschaften von erfolgreichen Menschen.
Zeigen Sie den Menschen, dass Sie für ihre Gedanken und Reaktionen empfänglich sind. Bemühen Sie sich um Feedback! Wenn Sie ein Feedback erhalten, hören Sie zu und werten Sie es aus! Wer Ihnen ein Feedback gibt, eröffnet Ihnen eine Lernchance. Seien Sie sich dabei der eigenen Voreingenommenheit und der eingeschränkten Wahrnehmung bewusst.
Erst dann beginnt das eigene Nachdenken und Reflektieren!
So reagieren Sie auf Feedback ganz konkret
Fragen Sie, wie das Gegenüber die Situation einschätzt: «Was war aus Ihrer Sicht sehr gut, zufriedenstellend und weniger gut?» Beachten Sie dabei die aktuelle Situation und die Beziehungsverhältnisse. Feedbacks brauchen Zeit und ein offenes Ohr. Denkt der Kollege oder die Kollegin gestresst an die To-do-Liste, bleibt die Konzentration auf der Strecke.
Konstruktive Kritik und der ganz normale Alltag
Ein gutes Gesprächsklima während des Feedbackgesprächs braucht langfristige Beziehungspflege. Geben Sie im Alltag regelmässig Wertschätzung, Anerkennung und Ermutigung weiter! Denken Sie an 5:1-Regel.[2] Füllen Sie das Beziehungskonto! Mit der Ermutigung steigt der „Mut-Level“ und die Person kann ihre Komfortzone erweitern – auch über den persönlichen Angstbereich hinaus.
Entwicklungsförderndes Feedback geben: 4 zentrale Faktoren
Hier die vier wichtigsten Merkmale:
- Sie denken in Chancen, nicht in Kritik.
- Sie sehen Herausforderungen statt Probleme.
- Sie geben Anregungen und Ideen, statt lähmenden Tadel.
- Sie blicken über den Tellerrand hinaus, erkennen die Möglichkeiten.
Ermutigendes Feedback: die wichtigsten Verhaltensweisen
Die folgenden Verhaltensweisen zeichnen gute Feedbackgeber/innen aus. Gerne können Sie sich diese Liste zur Vorbereitung auf ein Feedbackgespräch ausdrucken. Überlegen Sie, welches Verhalten Sie bereits häufig zeigen und wo Sie sich noch verbessern möchten.
- sie hören zu
- sie betonen und beachten Stärken und Fähigkeiten
- sie anerkennen Versuche und Fortschritte
- sie zeigen Interesse und fördern den Dialog
- sie schauen mit einem freundlichen Blick
- sie sind geduldig und haben Zeit
- sie zeigen Verständnis
- sie sind begeistert und fröhlich
- sie machen Hoffnung
- sie schenken Vertrauen
- sie trauen dem Menschen etwas zu
- sie schaffen ein Klima der Ermutigung
- sie können eine gleiche Augenhöhe bewirken und halten
- sie sind dankbar
- sie sehen auch ihre eigenen Anteile in Konfliktsituationen
- sie wissen, dass Menschen Fehler machen und stehen zu Ihren eigenen Fehlern
- sie wissen: Humor ist, wenn man gemeinsam (trotzdem) lachen kann
Wir hoffen, dass dieser Beitrag Sie zu neuen Erkenntnissen und Ideen inspirieren konnte. Viel Erfolg bei der Umsetzung!
Autor: Urs R. Bärtschi
[1] Urs R. Bärtschi, Ich bin mein eigener Coach, Springer Gabler, 3. Aufl., Wiesbaden 2020, S. 63
[2] «Pluspunkte gibt es für kommunikationsförderndes Verhalten wie lächeln, sich einfühlen oder den anderen für etwas bewundern. Ist das Verhältnis von Plus- und Minuspunkten vor allem nach Konfliktsituationen kleiner als 5:1, ist das Ende der Beziehung wahrscheinlich. Minuspunkte sind Kritik, Abwehrhaltung, Ausweichtaktiken und Geringschätzung.» (Gottmann John, Die 7 Geheimnisse einer glücklichen Ehe, Ullstein Verlag, 2006, S. 23)