Selbstbild: Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben
Das Selbstbild ist das Spiegelbild, das wir von uns selbst zeichnen. Es beeinflusst grundlegend, wie wir die Welt wahrnehmen und in ihr handeln. Die Individualpsychologie nach Alfred Adler betont die zentrale Rolle des Selbstbildes auf unsere Beziehungen, unsere Entscheidungen und die Art und Weise, wie wir mit Herausforderungen umgehen. Deshalb wollen wir in diesem Beitrag den Fragen nachgehen, wie das Selbstbild entsteht, wie es genau funktioniert und wie wir es positiv beeinflussen können. Denn: Unser Selbstbild ist nicht einfach gegeben, sondern formbar und damit ein mächtiges Werkzeug für unser persönliches Wachstum.
Wie entsteht das Selbstbild?
Das Selbstbild entwickelt sich besonders in den ersten Lebensjahren und wird durch äussere Einflüsse geformt. Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, betonte, dass die Erfahrungen mit anderen den Menschen als soziales Wesen prägen. Das bedeutet: Das Selbstbild entsteht aus dem Zusammenspiel von Erfahrungen, sozialen Einflüssen und inneren Überzeugungen. Insbesondere Eltern, Geschwister und enge Bezugspersonen spielen dabei eine zentrale Rolle. Ebenso beeinflussen gesellschaftliche Normen, kulturelle Werte wie Geschlechterrollen oder Schönheitsideale die Entstehung des Selbstbildes. Auch die Erwartungen an Leistung tragen dazu bei, wie wir uns selbst sehen und welchen Platz wir in der Welt einnehmen.
Entstehung des Selbstbildes: von der Wahrnehmung zum Lebensstil
Alfred Adler erklärt die Entwicklung des Selbstbildes folgendermassen: Kinder nehmen ihre Umwelt individuell wahr und ziehen aus ihren Erfahrungen Rückschlüsse auf sich selbst. So prägen zum Beispiel Lob, Kritik und Erwartungen von Bezugspersonen die Vorstellungen über den eigenen Wert und die individuellen Fähigkeiten. Ein Kind, das für seine Leistungen gelobt wird, entwickelt häufig ein leistungsorientiertes Selbstbild nach dem Motto „Ich bin nur gut, wenn ich erfolgreich bin“. Wird ein Kind dagegen häufig kritisiert, kann es negative Überzeugungen entwickeln, wie „Ich bin nicht gut genug“. Diese Überzeugungen entsprechen weniger objektiven Wahrheiten als subjektiven Interpretationen. Alfred Adler betonte deshalb immer: Alles kann auch anders sein. (vgl. Adler, 2008, S. 7).
Ein Kind, das sich ignoriert fühlt, könnte zu dem Schluss kommen: „Ich bin nicht wichtig”, auch wenn die Umwelt dies nicht beabsichtigt. Diese frühen Prägungen werden oft unbewusst bis ins Erwachsenenalter weitergeführt und beeinflussen die Selbstwahrnehmung nachhaltig. Adler nannte diese Prägungen “Lebensstil”, eine früh entwickelte subjektive Einstellung, die unser Verhalten und unsere Sicht auf die Welt bestimmt.
Warum ist das Selbstbild so zentral für ein erfülltes Leben?
Wir wissen jetzt: Die Auswirkungen des Selbstbildes sind allgegenwärtig. Es beeinflusst unsere Entscheidungen, unsere Beziehungen, den beruflichen Erfolg und sogar unsere körperliche Gesundheit. Dieser Zusammenhang kann zu grossen Chancen und Erfolgen führen oder in eine Sackgasse münden. So hängt beispielsweise die berufliche Entwicklung eng mit dem Selbstbild zusammen: Menschen, die sich für fähig und kompetent halten, sind eher bereit, Herausforderungen anzunehmen und sich weiterzuentwickeln. Ein negatives Selbstbild hingegen fördert im Sinne einer “sich selbsterfüllenden Prophezeiung” ein Scheitern. Betroffene zweifeln an ihren Fähigkeiten und versuchen gar nicht erst, ihre Ziele zu erreichen. Dies gilt auch für zwischenmenschliche Beziehungen. Wer sich für liebenswert hält, wird offener und authentischer auf sein Gegenüber zugehen. Menschen mit einem negativen Selbstbild neigen dagegen zu Misstrauen oder müssen sich ständig beweisen. Diese Verhaltensweisen können Beziehungen belasten. Darüber hinaus können körperliche Beschwerden mit einem negativen Selbstbild einhergehen. Stress, Schlafprobleme oder psychosomatische Erkrankungen sind oft Ausdruck innerer Konflikte, die von Selbstzweifeln begleitet werden.
Selbstbild und selbsterfüllende Prophezeiung
Interessanterweise wirkt das Selbstbild wie eine stetige Selbstbestätigung. Wer glaubt, nicht gut genug zu sein, verhält sich oft so, dass er Ablehnung erfährt – und fühlt sich dadurch in seinem Glauben bestätigt: „Siehst du, wieder ein Beweis, dass ich nicht gut genug bin“. Stellen Sie sich vor, der 20-jährige Elias besucht zum ersten Mal die Weihnachtsfeier seiner Firma. Er befindet sich noch in der Probezeit und ist überzeugt, dass die anderen Teammitglieder ihn nicht mögen, weil er nicht sympathisch und klug genug ist. Entsprechend reagiert Tom zurückhaltend und misstrauisch. Er beteiligt sich kaum an den Gesprächen am Tisch und verabschiedet sich bei der ersten Gelegenheit. Während der nächsten Arbeitstage fühlt sich Tom noch stärker abgelehnt und seine Überzeugung wächst, dass er nicht in dieses Team passt.
Wie kann man sein Selbstbild verändern?
Die gute Nachricht: Das Selbstbild ist nicht in Stein gemeißelt. Wie schon Alfred Adler betonte, ist der Mensch ein schöpferisches Wesen mit der Fähigkeit, sein Leben aktiv zu gestalten. Der erste Schritt zur Veränderung des Selbstbildes liegt in der Wahrnehmung. Es geht darum, die eigenen Denkmuster und Überzeugungen zu erkennen und bewusst anzunehmen, denn nur was bewusst ist, kann verändert werden.
Konkret bedeutet das, die Selbstwahrnehmung zu schärfen: Welche Glaubenssätze prägen mein Denken? Sind sie hilfreich oder hinderlich? Dann geht es darum, neue, positive Glaubenssätze zu entwickeln. Ein Beispiel: Statt sich als “nicht gut genug” zu sehen, kann man lernen, sich als lernfähig und entwicklungsbereit wahrzunehmen. An dieser Stelle ist es wichtig, die neue Wahrnehmung „Ich bin gut genug“ mit Inhalten zu füllen: Wo liegen meine Stärken und Talente? Welche Ressourcen stecken in mir? Für welche Eigenschaften lieben mich die Menschen, die mir nahestehen?
Der positive Glaubenssatz „Ich bin gut genug, so wie ich bin“ beinhaltet auch, sich nicht mit andern zu vergleichen – weder mit „besser“ noch mit „schlechter“. Wir sind einzigartig und es gibt keine zwei gleichen Menschen auf dieser Welt. Wir können lernen, unsere Einzigartigkeit wertzuschätzen. Als Menschen sind wir alle unvollkommen, jeder darf Fehler machen und muss nicht perfekt sein. Das Ziel ist, sich mit anderen Menschen gleichwertig zu fühlen und zu verhalten.
Diese Entwicklung ist ein wertvoller und herausfordernder Prozess. Psychologische Beratung hilft dabei, diesen Weg erfolgreich zu bewältigen. So kann ein Blick von außen helfen, tiefer liegende Muster zu erkennen, Veränderungen umzusetzen und positive Glaubenssätze zu festigen. Die Erfahrung zeigt, dass es oft schwierig ist, die eigenen blinden Flecken selbst zu erkennen.
Übung: Aspekte des negativen Selbstbildes erkennen
Die folgende Übung eröffnet Ihnen die Möglichkeit, den ersten Schritt zur Veränderung zu gehen. Probieren Sie sie einfach aus.
Setzen Sie sich an einen ruhigen Ort und stellen Sie sich folgende Fragen: Wann hatte ich heute negative Gefühle, wo fühlte ich mich unwohl, zurückhaltend, zögerlich oder wütend? Gehen Sie gedanklich in diese Situation hinein. Was genau war das Gefühl? Wo im Körper haben Sie dieses Gefühl gespürt? Welche Gedanken haben zu diesem negativen Gefühl geführt? Dieser Gedanke könnte einer Ihrer Glaubenssätze sein. Schreiben Sie diesen Satz auf und beobachten Sie, wie oft Sie diesen Gedanken und das damit verbundene Gefühl erleben. Gibt es verschiedene Sätze? Oder dreht sich vieles um das gleiche Thema?
Mit dieser Achtsamkeitsübung können Sie Ihre unbewussten Gedanken bewusst machen. Es braucht etwas Übung, um die eigenen Gedanken aufzuspüren. Wenn es nicht sofort gelingt, versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.
Übung: Selbstbild verändern
Schreiben Sie einen negativen Glaubenssatz aus der vorhergehenden Übung auf. Er könnte lauten: „Ich mache immer alles falsch“. Ersetzen Sie diesen Satz durch einen positiven, realistischen Satz wie „Ich mache Fehler und lerne daraus“. Sobald der negative Gedanke auftaucht, wiederholen Sie bewusst den positiven Satz. Auch hier gilt: Um einen jahrelangen Glaubenssatz umzuprogrammieren, braucht es Zeit und Ausdauer. Wenn Sie konsequent an Ihrem Glaubenssatz arbeiten, werden Sie erkennen, dass das negative Gefühl immer schwächer wird.
Fazit
Das Selbstbild ist ein mächtiges Werkzeug, das unser Leben prägt. Es entsteht in der Kindheit und wird durch Erfahrungen geformt. Das Selbstbild beeinflusst unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und unsere Beziehungen. Glücklicherweise ist es nie zu spät, daran zu arbeiten. Mit Achtsamkeit, bewusster Reflexion, Selbstwertarbeit und kleinen, aber wirkungsvollen Übungen können wir unser Selbstbild verändern – und damit unser Leben nachhaltig bereichern.
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Autorin: Isabelle Sproll-Imhasly, Individualpsychologische Beraterin AFI in eigener Praxis www.beratung-sproll.com, psychosoziale Beraterin SGfB, Veränderungscoach AfV, Leiterin Administration & Marketing AFI
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