Trauma erkennen und begleiten: Wege zur Heilung
Traumatische Erlebnisse können das Leben eines Menschen tiefgreifend verändern. Doch was genau ist ein Trauma, wie entsteht es, und wie kann es bewältigt werden? Die Individualpsychologie nach Alfred Adler bietet eine ganzheitliche Perspektive auf diese Fragen und zeigt Wege zur Verarbeitung und Heilung auf. Dieser Artikel beleuchtet, wie wir Traumata erkennen, verstehen und auf diesem Fundament Wege zur Heilung finden können.
Trauma – was ist das eigentlich?
Beim Stichwort Trauma denken die meisten Menschen an lebensbedrohliche Ereignisse wie Naturkatastrophen, Unfälle oder physische und psychische Gewalt. Traumatisches Erleben ist jedoch komplexer und vielschichtiger.
Grundsätzlich entsteht ein Trauma, wenn eine Person ein Ereignis erlebt, das sie als überwältigend und bedrohlich empfindet und das ihre seelischen Ressourcen überfordert. Ein Trauma entsteht nicht allein durch die Schwere des Ereignisses, sondern vielmehr durch die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen.
Was für den einen als bewältigbar erscheint, kann für einen anderen zur Trauma auslösenden Belastung werden – egal ob es sich um den Verlust eines geliebten Menschen, Gewalt oder Vernachlässigung handelt. Empfindet die betroffene Person Ohnmacht und fühlt sie sich unfähig, die Situation zu meistern, prägt sich das Erlebnis tief in ihr Gedächtnis ein.
Übrigens: Die Definition von Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde“.
Gibt es Faktoren, die ein Trauma begünstigen?
Aus individualpsychologischer Sicht spielt die frühe Kindheit eine zentrale Rolle. Die Erlebnisse aus dieser Zeit prägen unser Lebensmuster und beeinflussen, wie wir auf belastende Ereignisse reagieren. Nicht jeder Mensch entwickelt nach einem belastenden Ereignis ein Trauma. So zeigt eine repräsentative Studie von Prof. Andreas Maercker (Universität Zürich), dass rund zwei Prozent der Bevölkerung an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens mindestens eine potenziell traumatische Situation erfährt.
Bestimmte Faktoren können die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung erhöhen. Dazu gehören:
- Persönliche Verletzlichkeit: Menschen mit einer geringen psychischen Widerstandskraft (Resilienz) oder einem schwachen Selbstwertgefühl sind anfälliger.
- Vorerfahrungen: Wenn ein Mensch während der Kindheit zu wenig emotionale Sicherheit erfahren hat, ist er möglicherweise anfälliger für die Entwicklung eines Traumas. Frühere traumatische Erlebnisse können die Bewältigungsfähigkeit schwächen.
- Soziale Isolation: Ein Mangel an unterstützenden Beziehungen verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit.
- Individuelle Überzeugungen: Alfred Adler betont die Rolle von Glaubenssätzen. Wer beispielsweise vollkommen davon überzeugt ist, „immer stark sein zu müssen“ oder „sehr sensibel zu sein“, könnte ein Trauma schwerer verarbeiten.
Adlers Sichtweise unterstreicht, dass die soziale Eingebundenheit entscheidend ist. Menschen, die in einem unterstützenden sozialen Kontext leben, bewältigen Krisen meist besser.
Trauma: Folgen und Auswirkungen
Ein Trauma kann das Leben auf vielen Ebenen beeinflussen: emotional, körperlich und sozial. Betroffene kämpfen häufig mit Ängsten, Schuldgefühlen oder einem verminderten Selbstwertgefühl. Adler betrachtete diese Reaktionen als Versuch des Individuums, mit dem Erlebten umzugehen. Die meisten Betroffenen setzen diese Bewältigungsstrategien unbewusst ein und empfinden sie nur bedingt als hilfreich. Man könnte auch von einem unbewussten Notfallprogramm des Organismus sprechen, mit dem er versucht zu überleben.
Zu den häufigsten Symptomen zählen:
- Emotionale Reaktionen: Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle, Alpträume, Wut oder emotionale Taubheit.
- Körperliche Symptome: Schlafstörungen, Herzrasen, Verspannungen oder Schmerzen.
- Verhaltensveränderungen: Rückzug, Reizbarkeit, übermäßige Wachsamkeit oder Vermeidung von bestimmten Situationen.
- Kognitive Effekte: Konzentrationsprobleme, Erinnerungsverlust oder das Wiedererleben des Traumas (Flashbacks).
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft das „Gemeinschaftsgefühl“ – ein zentrales Konzept in der Individualpsychologie. Traumatisierte Menschen erleben oft eine Störung dieses Gefühls, da sie sich isoliert oder von anderen unverstanden fühlen. Sie entwickeln möglicherweise Vermeidungsverhalten, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Dies erschwert jedoch die Verarbeitung des Erlebten.
Langfristig kann ein Trauma zu psychosomatischen Beschwerden, Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. Auch die Beziehungen zu anderen Menschen leiden darunter, da es Betroffenen schwerfällt, Vertrauen zu entwickeln oder Nähe zuzulassen.
Adlers Theorie betont, dass solche Symptome Ausdruck eines gestörten Gleichgewichts zwischen der inneren Welt und den äußeren Anforderungen darstellen. Dabei ist wichtig zu betonen: Die genannten Symptome sind eine ganz normale Reaktion auf ein abnormales Ereignis.
Traumata verarbeiten und überwinden – mit Geduld und einfühlsamer Begleitung
Die Verarbeitung eines Traumas erfordert Zeit und Geduld. Wichtig ist, das Erlebte schrittweise zu konfrontieren und es als Teil der eigenen Lebensgeschichte anzunehmen, jedoch ohne dass es das Leben dominiert. Als besonders hilfreich haben sich ressourcenorientierte Ansätze erwiesen, die die Stärken und Fähigkeiten von Betroffenen in den Vordergrund stellen. Neue positive Beziehungen stärken das Zugehörigkeitsgefühl und fördern die Heilung zusätzlich. Nach Adler ist die Gemeinschaft ein wichtiger Schlüssel. Der Mensch ist ein „soziales Wesen“, und Heilung gelingt oft durch den Austausch mit anderen. Der erste Schritt zur Heilung liegt im Erkennen und Akzeptieren des Traumas.
Die folgenden Aspekte haben sich als besonders hilfreich in der Traumaheilung erwiesen:
- Therapeutische Begleitung: Einfühlsame Therapieformen, wie unter anderem die individualpsychologische Beratung, schaffen einen sicheren Rahmen, um sich dem Trauma behutsam zu nähern.
- Stärkung der Resilienz: Übungen, die das Selbstwertgefühl stärken und das Selbstvertrauen fördern, setzen die notwendige Energie frei, den Weg der Heilung zu gehen.
- Soziale Unterstützung: Beziehungen, die Sicherheit und Verbundenheit bieten, sind essenziell und fördern die Verarbeitung.
- Neuinterpretation des Erlebten: Adlers Konzept der „kreativen Kraft“ betont, dass Menschen die Fähigkeit besitzen, auch schwierige Erlebnisse in einen sinnvollen Lebenskontext zu integrieren.
Mut entwickeln: Der Mut, sich dem Schmerz zu stellen, ist ein zentraler Bestandteil der Heilung.
Trauma heilen: Was können erste Schritte für mich als traumatisierte Person sein?
Für Betroffene ist es wichtig, dass sie sich selbst Mitgefühl und Geduld entgegenbringen. Die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen, ist ein erster Schritt zur Heilung. Die eigenen Erfahrungen einem Tagebuch anzuvertrauen, sich kreativ-künstlerisch auszudrücken oder eine Entspannungsmethode wie Meditation oder Yoga auszuprobieren, können helfen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Dabei ist es wichtig, auf sich selbst zu achten. Auch sanfte Methoden können unerwünschte Wirkungen haben. Wählen Sie eine Methode, mit der Sie sich wohlfühlen.
Menschen mit einem Trauma können aktiv zur eigenen Heilung beitragen:
- Selbstfürsorge üben: Achten Sie auf Ihre Bedürfnisse und gönnen Sie sich ausreichend Ruhe und Entspannung.
- Soziale Interaktionen: Selbst kleine Schritte in Richtung neuer Erfahrungen und sozialer Interaktion können das Gefühl von Handlungsfähigkeit stärken.
- Grenzen setzen: Lernen Sie, “Nein” zu sagen, und schützen Sie sich vor weiteren Belastungen.
- Hilfe suchen: Wenden Sie sich an Therapeut/innen, Berater/innen oder Selbsthilfegruppen.
- Vergangenheit neu bewerten: Schreiben Sie über Ihre Erfahrungen, um sie in einen neuen Kontext zu setzen.
Trauma bewältigen – ein Fazit
Ein Trauma zu erkennen und zu begleiten, erfordert Einfühlungsvermögen, Verständnis und Geduld. Die Individualpsychologie bietet wertvolle Ansätze, um sowohl Betroffene als auch Begleiter/innen in diesem Prozess zu unterstützen. Die Heilung eines Traumas ist möglich, wenn Betroffene sich auf ihre Stärken besinnen, Unterstützung annehmen und schrittweise den Weg zurück ins Leben finden.
Berater/in finden oder einen qualifizierten Abschluss in Individualpsychologie erwerben
Wünschen Sie sich Unterstützung bei der Bewältigung eines Traumas oder möchten Sie Menschen mit traumatischen Erlebnissen auf ihrem Heilungsweg begleiten?
- Ausbildung zum/zur individualpsychologischen Berater/in AFI
Die Akademie für Individualpsychologie (AFI) bietet eine 3-jährige berufsbegleitende Ausbildung dazu an. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den eidgenössisch anerkannten Titel «Berater/in im psychosozialen Bereich mit eidgenössischem Diplom HFP» zu erwerben. Eine Anerkennung durch den Berufsverband mit dem Qualitätslabel psychosoziale/r Berater/in SGfB steht nach der Ausbildung ebenfalls offen.
Hier geht es zum nächsten Infoanlass - Weiterbildung „Trauma erkennen und begleiten“
Sind sie bereits Berater/in und möchten das Thema Trauma noch etwas vertiefen? Dann könnte unsere Weiterbildung etwas für Sie sein. - Berater/in finden
Hier finden Sie individualpsychologische Berater/innen in Ihrer Region.
Autorin: Isabelle Sproll-Imhasly, Individualpsychologische Beraterin AFI in eigener Praxis www.beratung-sproll.com, psychosoziale Beraterin SGfB, Veränderungscoach AfV, Leiterin Administration & Marketing AFI
Quellen:
● Maercker A, Hecker T, Augsburger M, Kliem S. ICD-11 Prevalence Rates of Posttraumatic Stress Disorder and Complex Posttraumatic Stress Disorder in a German Nationwide Sample. J Nerv Ment Dis. 2018 Apr;206(4):270-276. doi: 10.1097/NMD.0000000000000790. PMID: 29377849.
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