Erziehungsberatung: Wann suchen Eltern Unterstützung?
Kinder in die Welt zu setzen und sie beim Heranwachsen zu begleiten, beschreiben die meisten Eltern als sinnstiftend und erfüllend. Gleichzeitig bringt sie das Leben mit ihrem Nachwuchs immer wieder an die eigenen Grenzen. Diese Art der Grenzerfahrung kann motivieren und die Entwicklung der Erwachsenen fördern.
Stresshafte, fordernde Zeiten sind ein Teil jedes Familienalltags. Geraten Erziehende jedoch in eine Abwärtspirale, weil sie der Alltag zu sehr fordert oder mehrere kritische Ereignisse gleichzeitig eintreffen, kann eine Erziehungsberatung neue Perspektiven schaffen.
Erziehungsberatung ist der häufigste Anlass für einen Erwachsenen, um sich psycho-soziale Begleitung zu holen. In diesem Artikel wollen wir zeigen, welche Pionierarbeit Alfred Alder für den Bereich geleistet hat und wie die Indivudualpsychologie moderne Eltern wirkungsvoll unterstützt.
Alfred Adler – ein Pionier auf zahlreichen Gebieten
Alfred Adler begründete mit seiner Individualpsychologie die zweitälteste Schule der Tiefenpsychologie. Mit seiner Psychologie setzte er unter anderem wertvolle Impulse in der Psychotherapie, der Erforschung psychischer Erkrankungen und der Pädagogik.
Impulse für die Pädagogik: vom Schulwesen bis zur Erziehungsberatung
Die Bedeutung von Adlers Impulsen zeigte sich zum Beispiel darin, dass 1920 in Österreich eine grosse Schulreform umgesetzt wurde. Im Zuge dessen begannen Volksschulen, Erziehungsberatungsstellen einzurichten. Der Bedarf an Unterstützung war gross und die Eltern nahmen das Angebot gerne in Anspruch. Bereits einige Jahre später gab es allein in Wien rund 30 solcher Anlaufstellen.
Das Beratungssetting von Alfred Adler war seit jeher fortschrittlich. So schreiben Erwin Riegel und Gerhard Brandl 1977 in ihrem Werk Ein Österreicher namens Alfred Adler, dass Adler „fast immer und von Beginn an sämtliche Familienmitglieder gleichzeitig zu seinen Gesprächspartnern gemacht (hat); er hat auch die Aussprache mit den Eltern vor den Kindern bzw. das Gespräch mit den Kindern in Anwesenheit der Eltern durchgeführt“[1]. Sogar ein Kreis interessierter Zuhörer:innen durfte den Aussprachen folgen.
Um die Ausbildung für Lehrer:innen zu verbessern, entstand 1923 das Pädagogische Institut der Stadt Wien. Im Jahr darauf übernahm Alfred Adler dort eine Professur.
Individualpsychologische Erziehungsliteratur
Mit den Erziehungsratgebern «Kinder fordern uns heraus» und «Kinder lernen aus den Folgen» machte Rudolf Dreikurs die Individualpsychologie bereits vor 40 Jahren einem breiten Publikum zugänglich. Die Bücher gelten bis heute zu den meistgelesenen Standardwerken im Bereich Erziehung. Dreikurs beschreibt darin einen demokratisch-partnerschaftlichen Erziehungsstil und stellt die menschlichen Beziehungen in den Mittelpunkt.
Der Autor geht davon aus, dass jedes Kind soziale Grundbedürfnisse hat, zum Beispiel nach Geborgenheit oder Zugehörigkeit. Dieses grundlegende soziale Verlangen ist genauso (über-)lebenswichtig, wie körperliche Bedürfnisse nach Nahrung oder Schlaf. Die Individualpsychologie liefert Erklärungen für nahezu alle kindlichen Verhaltensweisen und gibt genaue Hinweise für eine passende Reaktion der Eltern. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass bis heute mehrere Elterngenerationen dem Ratgeber vertrauen.
Individualpsychologische Erziehungsberatung: Ermutigen und Grenzen setzen
Die Individualpsychologie setzt in der Erziehungsberatung einen Schwerpunkt auf die Ermutigung. Eltern sollen ihrem Kind Mut machen, seinen Weg selbstbewusst und eigenständig zu gehen. Dazu gehört auch, ihnen angemessene Grenzen zu setzen. Das individualpsychologische Konzept möchte vermitteln, wie Erwachsene mit ihren Kindern ein gemeinsames Leben auf der Basis von Gleichwertigkeit führen und intensive, vertrauensvolle Beziehungen pflegen.
Gleichzeitig ermutigen die Berater:innen die Ratsuchenden, ihren Weg gemeinsam mit dem Nachwuchs zu suchen.
Erziehung als tägliche Herausforderung
Erziehungsberater:innen verstehen, dass das Eltern-Sein nicht immer leicht ist. Eltern stossen bei der Erziehung ihres Nachwuchses an Grenzen und lernen möglicherweise bisher unbekannte Seiten ihrer eigenen Persönlichkeit kennen. Diese Aspekte werden nicht zwangsläufig positiv bewertet. Darüber hinaus besteht vor allem beim ersten Kind viel Unsicherheit über den richtigen Umgang mit schwierigen Situationen.
Kein Wunder also, dass Erziehungsberatung sehr häufig in Anspruch genommen wird.
Darüber hinaus belasten viele Aspekte den modernen Familienalltag: Das Kind hat Wutausbrüche, isst nicht, oder streitet ständig mit den Geschwistern. Gleichzeitig fordern Beruf, Haushalt und die eigene Beziehung beide Elternteile. Gesellt sich noch eine hohe Erwartungshaltung aus dem sozialen Umfeld oder neigen die Eltern zu Perfektionismus, ist die eigene Energie schnell verbraucht und neue Lösungswege schwer zu finden.
Für solche Situationen existiert die Erziehungsberatung als professionelle Form der Unterstützung. Die allermeisten Berater:innen sehen in ihrer Tätigkeit eine Berufung, die sie mit grosser Freude erfüllt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft und für jeden einzelnen Ratsuchenden und dessen Familie.
Psychosoziale Berater:in werden und Eltern, Kinder oder Jugendliche unterstützen
Arbeiten Sie bereits mit Menschen? Fällt Ihnen auf, dass Menschen aus Ihrem Umfeld Sie als Gesprächspartner:in schätzen und sich auch mit sehr persönlichen Fragen an Sie wenden? Ausserdem lieben Sie es, Ihre Mitmenschen bei den Herausforderungen des Lebens zu unterstützen? Wenn Sie jetzt mehrmals innerlich mit «ja» geantwortet haben, verfügen Sie bereits über die wichtigsten persönlichen Voraussetzungen für eine psychosoziale Beratungstätigkeit.
Erziehungsberater:in werden: Mögen Sie Menschen?
Immer wieder fragen mich Menschen am Telefon, was gute psychosoziale Berater:innen brauchen. Die kürzeste Antwort lautet: «Sie sollten Menschen mögen.»
Der zentrale Faktor ist und bleibt ein aufrichtiges Interesse an den Menschen. Personen, die ihre Mitmenschen mögen, verfügen über tief verankerte soziale Kompetenzen. Sie haben diese Fähigkeiten bereits ein Leben lang trainiert – freiwillig und unbewusst.
So zum Beispiel im erfolgreichen, persönlichen Umgang mit der eigenen Familie, mit Freunden oder Bekannten. Stellen Sie sich vor: Jedes geglückte Gespräch das Sie je geführt haben sind die wahren Trainingsstunden auf dem Weg zur professionalisierten Beratungs-Karriere.
Informieren und psychosoziale Berater*in werden
Wir haben für Sie alle wichtigen Fragen und Antworten in den FAQ auf unserer Website zusammengestellt. Gerne können Sie sich dort umschauen. Sie informieren sich lieber persönlich? Wir führen regelmässig Informationsveranstaltungen zu dieser Weiterbildung durch. Dort haben Sie die Gelegenheit, mit der Inhaberin und Gründerin der Akademie für Individualpsychologie, Ruth Bärtschi, ins Gespräch zu kommen. Frau Bärtschi ist diplomierte individualpsychologische Beraterin und Beraterin im psychosozialen Bereich mit eidgenössischem Diplom. Hier finden Sie die nächsten Termine. Sie sind uns jederzeit herzlich willkommen!
Unsere 16 Dozent:innen – erfahren und engagiert
Die Akademie für Individualpsychologie setzt ausschliesslich erfahrene Dozent:innen ein. Alle Lehrenden vertreten sie einen eigenen Themenbereich. Auf diese Weise sichern wir die hohe Qualität der Ausbildung. Sie werden von erfahrenen Dozent:innen in deren Schwerpunktfächer eingeführt und lernen gleichzeitig unterschiedliche Beraterpersönlichkeiten kennen.
Gerne stellen wir Ihnen unser Team näher vor. Sie finden die Dozent:innen hier auf unserer Website.
Im Folgenden möchten wir Ihnen unsere Kollegin Csilla Kenessey Landös, eidg. anerkannte Psychotherapeutin, vorstellen. Die Dozentin und Therapeutin ist auch Buchautorin und inspiriert Sie mit dem nachfolgenden Artikel:
Elternschaft: eine grosse Herausforderung
Das Eltern-Sein ist heute mit besonderen Herausforderungen verknüpft. Der Alltag ist komplex und die unterschiedlichen Lebensbereiche wie Job, Haushalt, Kinder und die eigene Freizeit müssen irgendwie unter einen Hut gebracht werden. Meist entsteht Frust auf Seiten der Erwachsenen, wenn das alltägliche Chaos nicht mit ihrem Plan übereinstimmt.
Während der Beratung sprechen wir regelmässig über «Selbstfürsorge». Gerade in turbulenten Phasen ist es wichtig, ruhig bei sich zu bleiben. Dies schaffen wir jedoch nur, wenn wir innerlich im Gleichgewicht sind und die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.
Immer wieder darf ich auch darauf hinweisen, dass sich Kinder nicht absichtlich unkooperativ verhalten. Der Nachwuchs kann sich nur durch «Fehlverhalten» ausdrücken, wenn er sich nicht wohlfühlt. Er ist nicht in der Lage, systematisch darüber nachdenken und seine Gedanken mitzuteilen.
Die meisten Eltern reagieren erleichtert, wenn sie erfahren, dass hinter dem Fehlverhalten des Kindes «keine böse Absicht» steckt. Oft gehen Eltern mit diesem Wissen anders mit Konflikten um. Das Kind wird in dem Moment, in dem es nicht kooperiert nicht zum Gegener, sondern es wird in seiner Not erkannt und die Erwachsenen bieten ihm Möglichkeiten an, aus dem Verhalten auszusteigen.
Um in schwierigen Situationen aus einer inneren Ruhe dem Nachwuchs die passende Unterstützung zu geben, braucht es entspannte Eltern. Doch wie sollen wir uns selbst gerecht werden bei all den vielen täglichen Aufgaben? Die Vorstellung, eine gelungene Selbstfürsorge erfordere viel Zeit, ist weit verbreitet. Trotzdem ist sie nicht richtig. Besser ist, mehrere und dafür kürzere Zeitfenster einzuplanen: eine Kurz-Meditation, einige Minuten nach draussen zu gehen und bewusst zu atmen oder mit Freude ein Musikstück zu hören. Das einzig wichtige Auswahlkriterium: Es muss Ihnen gut tun. Meine Mutter, ebenfalls Psychotherapeutin sagte sehr treffend: «Kinder brauchen keine Ferien, Kinder brauchen erholte Eltern.»
Vergessen Sie «falsch» und «richtig»: Es gibt nur «machbar» oder «nicht machbar»
In der Beratung spielt das Thema „Entwicklung des Gehirns“ eine sehr wichtige Rolle. Im Kindesalter befindet sich das Gehirn noch mitten in Auf- und Umbauprozessen. Bis zum siebten Lebensjahr übernimmt das Kind die beobachteten Verhaltensweisen und Glaubenssätze ohne sie zu hinterfragen. Nach dem Konzept des Lebensstils von Alfred Adler begleiten diese Programme den Nachwuchs unbewusst und ein Leben lang. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern sich darüber im Klaren sind, welche Lektionen das Kind von ihnen lernen sollte.
Ganz zentral ist die Tatsache, dass das Wohlbefinden oder die Selbstfürsorge der Eltern nicht von der Kooperationsbereitschaft des Kindes abhängen darf. Anders formuliert: „Unabhängig davon, wie sich mein Nachwuchs verhält, mir geht es weiterhin gut. Denn nimmt das Kind wahr, dass es einem Elternteil nicht gut geht und kann es nicht klar erkennen, dass der Erwachsene die Verantwortung für sein Wohlergehen übernimmt, lädt er unbewusst die Verantwortung auf das Kind ab. Der Nachwuchs ist damit verständlicherweise überfordert. Im schlimmsten Fall beeinträchtigt diese Situation das Selbstvertrauen und hemmt die kindliche Entwicklung.
Im Rahmen der Beratung geht es darum, den Eltern neues Wissen zu vermitteln und destruktive Kreisläufe aufzuzeigen. Dadurch gewinnen Eltern neue Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit ihrem Kind. Wichtig dabei: Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Jedes Paar, jede Familie unterliegt eigenen Dynamiken und Grenzen. Diese gilt es zu beachten und gemeinsam machbare Strategien zu finden.
Als Ergänzung zu meiner Tätigkeit als Beraterin und Therapeutin habe ich das Arbeitsbuch «Gelassen erziehen – In 16 Schritten zu einer entspannten Elternrolle» geschrieben. Darin vermittle ich Eltern grundlegendes Wissen zu den Themen kindliche Entwicklung, Erziehung und Selbstfürsorge.
Mit diesem Buch möchte ich Eltern unterstützen, ihre inneren, unbewussten Anteile ins Bewusstsein zu bringen. Denn nur so können sie mit ihnen arbeiten und sie bei Bedarf verändern.
Die Arbeit in der Erziehungsberatung bereitet mir viel Freude. Kinder sind sehr offen und dankbar. Sie reagieren rasch auf Veränderungen ihrer Eltern und diese Tatsache ermutigt die Erwachsenen, weitere Schritte zu wagen.
Autorin des Artikels «Elternschaft: eine grosse Herausforderung»: Csilla Kenessey Landös, Inhaberin Institut für integrative Psychologie und Pädagogik Schweiz GmbH
[1] Riegel Erwin / Brandl Gerhard (1977): Ein Österreicher namens Alfred Adler, S. 203