Ermutigung: der beste Dünger für persönliches Wachstum und eine erfüllte Zukunft
„Durch Mut vermeidet man Gefahren besser als durch Angst.“
Dreikurs/Blumenthal[1]
Veränderung ist ein Synonym für Leben. Erfolgreich und erfüllt kann unser Dasein nur werden, wenn wir uns auf den Wandel einlassen, das Leben anpacken und mit dem Lebensfluss wachsen. Dafür braucht es Mut.
Alfred Adler erkannte die Relevanz dieses Zusammenhangs sehr früh. In seiner Individualpsychologie spiegelt sich seine Erkenntnis: Ermutigung und die Begegnung auf Augenhöhe sind die Basis der individualpsychologischen Beratung.
Wir möchten Ihnen heute das Thema Ermutigung näherbringen, schliesslich kann das aktuelle Zeitgeschehen durchaus entmutigen. Warum Mut dennoch angebracht und nicht naiv ist, und wie die Individualpsychologie in dieser Zeit besonders nützt, zeigen die folgenden Abschnitte.
Ihr Lebens-Modus: funktionieren oder lebendig sein?
Kennen Sie folgende Situation? Ihr Alltag besteht vor allem aus To-Do-Listen und wenn Sie zur Ruhe kommen, steigen Sorgen auf: Inflation, Krieg, Klima. Der Wunsch, in Ihrem Leben etwas zu verändern ist gross. Jedoch wissen Sie nicht so recht, was Sie anders machen könnten und Energie, um etwas anzupacken spüren Sie ebenfalls nicht.
Individualpsychologische Beratung unterstützt Menschen darin, neue Weg zu entdecken undweckt die dafür notwendige Kraft. Sie führt Ratsuchende zu mehr Lebendigkeit.
Wie sie das schafft? – Auf der Basis von Ermutigung.
Was versteht die Individualpsychologie unter Ermutigung?
Ermutigung bedeutet, im Gegenüber die Fähigkeit zu wecken, anderen Menschen, sich selbst und dem Leben zu vertrauen. In einer ermutigenden, vertrauensvollen Atmosphäre kann Grosses, ja Ausserordentliches entstehen. Sie setzt unerwartete Energie frei. Anders formuliert: Ermutigung und Vertrauen sind der Schlüssel zu erfolgreichem Wandel.
Dagegen erhöht Angst das Stresslevel. Der Blick verengt sich, das Selbstvertrauen sinkt, ein Gefühl von Hilflosigkeit breitet sich aus. Menschen aktivieren ihre „Vermeidungs- und Notprogramme“. Sie gelangen zur Überzeugung, nichts zur Verbesserung der Situation beitragen zu können, schätzen ihren Beitrag als unwesentlich ein. Sätze wie «was soll ich schon gegen den Klimawandel ausrichten» oder «der Inflation stehe ich machtlos gegenüber» prägen sich ein und bestimmen das tägliche (Nicht-) Handeln.
Ermutigung beseitigt vorhandene Minderwertigkeitsgefühle und stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit. Ratsuchende werden mutig und lassen sich auf neue Wege ein.
Der Psychologe Robert F. Antoch gibt eine umfassende, fachliche Definition zu dem wichtigen Begriff: «Ermutigung ist derjenige Kooperationsprozess, der zwischen zwei Personen in Gang kommen kann, wenn der eine zur Lösung eines für ihn allein nicht lösbar scheinenden Problems die Hilfe eines anderen in Anspruch nimmt. Jeder Versuch der Ermutigung hat die Voraussetzung, dass sich die Kooperationspartner trotz ihrer verschiedenen Funktionen in diesem Prozess als prinzipiell gleichwertig verstehen und dass der Partner in der Hilfsfunktion die Lösung nicht mit von aussen herangetragenen Mitteln, sondern im Wesentlichen mit Mitteln und Motivationen vorantreibt, die er bei seinem Gegenüber vorfindet und belebt. Ein Ermutigungsversuch ist erfolgreich verlaufen, wenn der Betroffene das Problem aus einer erweiterten Einsicht in die eigenen Wünsche und Vorstellungen, in Sachnotwendigkeiten und in die Forderungen seiner sozialen Umwelt einer für ihn und seine Umwelt sachgerechten Lösung zuführen kann«. Antoch, Robert. F. (1981): Von der Kommunikation zur Kooperation: Studien zur individualpsychologischen Theorie und Praxis.[2]
Die Abwärtsspirale umkehren
Oft kreisen unsere Gedanken zweifelnd um uns selbst. Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Ermutigung kehrt die Dynamik um.
Sie steigert die Selbstachtung und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. So wie ich bin, bin ich gut genug – auf der Basis dieser Einstellung entfaltet sich das persönliche Potenzial. Menschen, die ermutigt werden, werden im wahren Wortsinn mutiger. Sie erkennen ihre Stärken und Fähigkeiten, wagen es, sie einzusetzen und erleben, dass sie gebraucht und geschätzt werden. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst.
Ermutigung bedeutet auch zu verstehen, dass wir nicht perfekt sein müssen. Es kommt darauf an, dass wir unseren Beitrag leisten – das macht uns fröhlich, noch mutiger und steigert unser Selbstvertrauen. Wir spüren, dass wir einen Platz im Leben haben, unser Beitrag einen Unterschied macht. Genau darauf kommt es an, wenn Menschen Grosses leisten und ein erfülltes Dasein leben.
Am Beispiel der Klimaveränderung kann die betroffene Person erkennen, dass sie einen persönlichen Spielraum hat und es genügt, wenn sie ihre Möglichkeiten ausschöpft. Ihren Beitrag leistet. Indem sie selbst aktiv wird, steigt ihr Selbstvertrauen, das Gefühl, etwas zu verändern. Auf diese Weise gewinnt sie Abstand zu ihren Sorgen.
Entmutigte Menschen in der psychosozialen Beratung
Die Erfahrung zeigt: Fehlendes Selbstvertrauen ist die häufigste Ursache von den Problemen, mit denen Menschen in die Beratung kommen. Viele glauben im Innersten nicht daran, wertvoll zu sein, einen Platz im Leben zu haben, etwas gut machen zu können und so wie sie sind liebenswürdig zu sein. Minderwertigkeit bedeutet für sie: die anderen sind besser, liebenswerter, erfolgreicher.
Nichts lähmt die Entwicklung mehr als solche Gedanken. Sie verhindern, dass eine Person ihre Fähigkeiten und Talente nutzt, oft entdeckt sie sie nicht einmal. Aus der Angst heraus, nicht gut genug zu sein, verpassen Menschen die Erfahrung, dass sie wertvolle und wichtige Beiträge leisten können. Eine tragische Situation für die Betroffenen und ihr Umfeld, denn ängstliche Menschen sind gleichzeitig entmutigte und entmutigende Zeitgenossen.
Ermutigung in der Beratung
Aus dem obigen Abschnitt folgt: Wo Angst den Umgang mit Veränderungen erschwert, bewirkt Mut das Gegenteil. Er erleichtert den Umgang mit Herausforderungen. Ermutigung in der individualpsychologischen Beratung bedeutet, Schritte einzuleiten, damit sich ein Mensch in seinen persönlichen Risikobereich hineinbewegt und handelt. Auch wenn nicht alle Angst verschwunden ist.
Zeit für neue Wege
Ratsuchende erleben Ermutigung in der Beratung als ungewohnte Freiheit, sie lässt ihnen eine Wahl. Die Beratungsperson gibt ein realistisches, ermutigendes Feedback und verkleinert damit den blinden Fleck im Selbstbild. Dies eröffnet neue Lernmöglichkeiten.
Überlegen Sie bitte kurz:
Gibt oder gab es in Ihrem Berufsleben einen Vorgesetzten, eine Vorgesetzte, mit der oder dem Sie die Zusammenarbeit besonders konstruktiv und erfolgreich erlebt haben? Haben Sie auch das Gegenteil erlebt?
Vergleichen Sie die Führungsstile der beiden Personen anhand der folgenden Tabelle:
Kritik / Entmutigung | Ermutigung |
führt zur Abwehr und Konfrontation; zielt auf Schuldzuweisungen | führt zu Vertrauen und Kooperation; Engagement und höhere Leistung sind die Folge |
verbessert die Fähigkeiten nicht | erhöht die Fähigkeiten |
untergräbt Vertrauen und Selbstachtung | stärkt Vertrauen auf Können und Potential |
führt zur Ratlosigkeit | erklärt genau, wo ich stehe und was ich als nächstes tun muss |
führt zum Gefühl der Verurteilung | führt zum Gefühl des Unterstütztseins |
Erkennen Sie die grundlegende Dynamik? Es spielt keine Rolle, ob es um individuelle Leistungsgespräche oder Teammeetings geht. Die zugrundeliegende Haltung – kritisch oder ermutigend – macht den Unterschied.
Mut macht’s möglich
Abb. “Über sich selbst hinauswachsen“ (Gezeichnet von Cla Gleiser. Die Original-Zeichnung war 2003 ein Geschenk an Urs R. Bärtschi)
Lob oder Ermutigung?
An dieser Stelle ist eine Unterscheidung wichtig, nämlich zwischen Lob und Ermutigung. Lob, genauso wie Anerkennung, dient als positive Verstärkung, es setzt eine tolle Leistung voraus.
Ermutigung dagegen fokussiert auf die gelungenen Schritte auf ein Ziel/eine Leistung hin. Auf das Vorhandene und nicht das Fehlende in einer Situation. Auf das Mögliche, auf die Fähigkeiten und die Erreichbarkeit eines Ziels.
Encouragement wanted: die westeuropäische Negativkultur
Unsere süddeutschen Nachbarn haben ein Sprichwort: „Nix gsait isch globat gnuag“. Auch in unseren Redewendungen haben wir ähnliche Formulierungen: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Ermutigende Worte sind eher selten. Jemanden zu loben, ihm Anerkennung zu geben oder bloss etwas Nettes zu sagen, das ist verpönt und wird als „Strebertum“ oder „Anschleimen“ gebrandmarkt. Gleichzeitig weiss jeder Mensch aus eigener Erfahrung, dass es gerade im Bereich des Verhaltens kaum einen besseren Weg gibt, als das Lernen am Erfolg. Und wir alle wissen, wie gut ein ehrliches Lob tut. Im Alltag bedeutet das, (Teil-) Erfolge und Ergebnisse in den Blick zu nehmen – nicht das Fehlende.
Es gilt, Ermutigung der westeuropäischen Negativkultur entgegenzusetzen, die ständig auf das Fehlerhafte und das Nicht-Vorhandene blickt. Dieser Negativblick ist nicht nur eine Zeiterscheinung, sondern Teil des menschlichen Denkens und Handelns. Treffend sagte einmal ein griechischer Philosoph: „Was wir am nötigsten brauchen, sind Menschen, die uns ermutigen, das zu tun, was wirklich in uns steckt“ (Eptik, ca. 100 n.Chr.).
Wie schaffen wir eine Ermutigungskultur?
Ehrlicherweise müssen wir Ermutigung trainieren. Das bedeutet: Erfolge, Stärken und Kompetenzen wahrnehmen und benennen. Schliesslich fällt es den meisten von uns bereits schwer, die eigenen Stärken und Erfolge zu erkennen. Noch peinlicher berührt fühlen wir uns, wenn wir einer anderen Person ohne Umschweife sagen: Ich erlebe dich als eine Person mit genialen Fähigkeiten, du kannst gut organisieren, du denkst einfach an alles!
Diesem seltsamen Gefühl können wir den Gedanken entgegensetzen, dass Ermutigung bestimmt, was sich ein Mensch zutraut und letztendlich vollbringt.
Eigenlob stinkt?
Der Weg zur Ermutigungskultur hält verschiedene Herausforderungen bereit. Eine besonders grosse Hürde ist die folgende kulturell verankerte Haltung: In Mitteleuropa gehen wir davon aus, dass «es sich nicht gehört», sich selbst zu loben oder eigene Erfolge in den Mittelpunkt zu stellen.
Wie sollen Menschen ein realistisches Selbstbild entwickeln, wenn der Fokus vor allem auf Schwachstellen oder Noch-nicht-Erreichtem liegt? Wie sollen sie den Mut und die Kraft aufbringen, über sich hinauszuwachsen?
An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass es nicht um Masslosigkeit oder übertriebene Selbstdarstellung geht. Es geht darum, das vorhandene Potenzial jedes Einzelnen aufzudecken und ihn in die Lage zu versetzten, es zu entfalten.
Salopp formuliert: Durch Potenzialentfaltung wird ein Pinguin nicht zur Gazelle. Ein Pinguin zeigt seine Eleganz und Wendigkeit im Wasser, die Gazelle an Land. Wir alle besitzen Fähigkeiten, die wir zu unserem eigenen und zum Wohl der Gemeinschaft einsetzen können. Ermutigung schafft eine Atmosphäre, in der wir diese Talente erkennen und lernen, sie einzusetzen. Dies zu würdigen ist nicht vermessen, sondern angemessen.
Manipulation vs. ehrliche Ermutigung
Ermutigung ist immer nah am Alltag und an den Menschen. Ermutigungsmethoden sind keine Tricks, sie wirken nur durch eine authentische innere Haltung. Anders formuliert: Ermutigung funktioniert nur, wenn das, was ich sage oder tue, meiner wirklichen inneren Empfindung entspricht. Die innere Haltung zählt.
Was kann ich zu einem Klima der Ermutigung beitragen?
Sie können folgendes tun. Trainieren Sie
- an Ihre Mitmenschen zu glauben,
- andere anzunehmen, wie sie sind.
- bauen Sie für sich selbst Hoffnung auf und
- spüren Sie Ihrer inneren Haltung nach: passt sie zu Ihren Worten?
Ganz wichtig: Holen Sie sich selbst Ermutigung. Lesen Sie zum Beispiel das Buch von Theo Schoenaker (1932-2021) «Mut tut gut: Für eine bessere Lebensqualität und echte Lebensfreude». Dieser Bestseller ist in der 18. Auflage veröffentlicht und bringt das Prinzip der Ermutigung auf den Punkt.
Individualpsychologische Berater/-innen unterstützen Sie ebenfalls gerne auf Ihrem Weg. Auf unserer Website finden Sie ein Beraterverzeichnis. Und falls Sie intensiv an dem Thema arbeiten möchten, können Sie sich über unsere Ausbildung in psychosozialer Beratung informieren – hier auf der Website oder bei unseren Informationsveranstaltungen.
Mutig in die Zukunft – privat und gesellschaftlich
In Mitteleuropa zeigt sich angesichts der vielschichtigen Krisen eine zunehmende Verzagtheit. Analog zu den Medien malen viele Menschen gedanklich düstere Zukunftsszenarien. Sie zu durchbrechen ist eine Gemeinschaftsaufgabe, zu der jeder und jede ihren wertvollen Beitrag leisten kann. Packen wir es an!
Literaturnachweis
1 Dreikurs, Rudolf & Blumenthal, Erik (1992): Eltern und Kinder: Freunde oder Feinde? Klett-Cotta.
2 Antoch, Robert. F. (1981): Von der Kommunikation zur Kooperation: Studien zur individualpsychologischen Theorie und Praxis.
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