logo
logo

Alfred Adler: Für die individualpsychologische Beratung unverzichtbar

Was Alfred Adler uns auch heute noch sagen kann, lässt sich mit einem Zitat von ihm zusammenfassen: „Jeder Mensch kann alles, solange er sich selbst keine Grenzen setzt.“ Dieser Satz ist neben seiner Prägnanz auch deshalb so aktuell, weil wir uns seit dem Ausbruch der Corona-Krise in einer Welt voller Grenzen zu befinden scheinen. Doch für die psychosoziale Beratung ist Adlers Satz weit mehr als die Einordnung einer globalen Krise, die hoffentlich vorüber geht.

Von der Geburtsstunde der Psychologie

Im Jahr 1902 war Sigmund Freud das Mass aller Dinge. Und so war es eine Auszeichnung für Alfred Adler, in den Kreis von Freuds „Mittwochs-Gesellschaft“ aufgenommen zu werden. Jener Kreis fiel nicht nur durch dicken Zigarrenrauch auf, sondern auch durch lebhafte und angeregte Diskussionen der Teilnehmer. Jung war 14 Jahre jünger als der damals 46-jährige Freud und ging seiner Tätigkeit als praktischer Arzt nach.

Die „Mittwochs-Gesellschaft“ wuchs im Laufe der Jahre immer stärker, doch es zeichnete sich auch ab, dass Freud grundsätzlich das Schlusswort haben musste und den anderen Teilnehmern nicht immer auf Augenhöhe begegnete. Freud war der Überzeugung, dass seine Lehre nicht mit „minderen Zutaten“ befleckt werden durfte. Adler dagegen hatte seine eigenen Pläne, die nicht mit Freuds Ansätzen vereinbar waren. Und so trennten sich ihre Wege 1911, Adler eröffnete nun seine eigene Gruppe.

Alfred Adler hatte in der Zwischenzeit sein System der Individualpsychologie aufgebaut und nannte die von ihm initiierte Gruppe dann auch „Gesellschaft für Individualpsychologie“. Kerngedanke von Adler zur damaligen Zeit war die Herangehensweise, Familien zu helfen, indem er nicht nur mit den einzelnen Familienmitgliedern sprach. Wenn er mit Eltern sprach, waren auch die Kinder anwesend und umgekehrt.

Im Jahr 1923 wurde in Wien das „Pädagogische Institut“ gegründet, an dem Adler 1924 Professor wurde. Er trug auch wesentlich dazu bei, im Zuge einer Schulreform die Sozialisationsfähigkeit von Kindern zu fördern und die Familienhilfe weiter zu entwickeln.

Doch es war längst nicht alles Gold, was glänzte. Der individualpsychologische Ansatz Adlers stiess nicht uneingeschränkt auf Gegenliebe, sondern wurde von Teilen der Fachwelt hart bekämpft.

Alfred Adler Zitat Mensch

Zurück in dunkle Zeiten

Im Jahr 1934 wurde die Sozialdemokratie zerschlagen und mit ihr die Ideen von Alfred Adler. Das austrofaschistische Regime führte die alte autoritäre Schule wieder ein, es begann eine düstere Zeit.

Nach dem Ende des Krieges waren in Wien lediglich drei „Adlerianer“ geblieben: Oskar Spiel, Karl Nowotny und Ferdinand Birnbaum. Dann dauerte es bis in die 1950er Jahre, bis die pädagogischen Ansätze auch in den USA durch Rudolf Dreikurs eingeführt und weiterentwickelt wurden. Dreikurs war es auch, der die Individualpsychologie wieder zurück nach Deutschland brachte. Allerdings sollte es noch bis in die 1970er Jahre dauern, bis die Bücher von Alfred Adler im Fischer Verlag in Deutschland wieder neu aufgelegt wurden.

Die Individualpsychologie gestern und heute

Adlers Individualpsychologie ist so wertvoll, weil sie zeitlos ist. Früher wie heute ist der Ansatz, den Menschen zu verstehen und sein Verhalten positiv zu bewerten, von unschätzbarem Vorteil für das private Leben, aber auch für den beruflichen Erfolg. Als Sozialpsychologie ist die Individualpsychologie eine verständliche Gebrauchs- und Alltagspsychologie, die keinem elitären, sondern einem zugewandten und wertschätzenden Ansatz folgt. Adler nahm den Lebensstil jedes Menschen in den Fokus und entwickelte psychologische Techniken, die halfen und helfen, Erkenntnisse aus dem eigenen Lebensstil zu ziehen.

Zudem ist Adlers Schule eine konstruktive und optimistische, die die Vergangenheit eines Menschen nicht ausblendet, aber auf die Gegenwart und die Zukunft setzt, um das eigene Leben zu verbessern. Im Vordergrund dabei steht die Selbstverantwortung des Menschen. Als psychosoziale Beraterin oder psychosozialer Berater bedeutet die Arbeit nach Adler immer auch, das Potenzial des Menschen zu erkennen und darauf aufzubauen.

Soziale Gleichwertigkeit: Heute wichtiger denn je

Soziale Gleichwertigkeit ist nach wie vor ein gesellschaftliches Problem. Es gibt sie nicht nur häufig nicht, sie schwindet in vielen Bereichen des Lebens immer mehr. Gerade minderbegüterte Menschen erfahren meist nicht die Möglichkeiten, die anderen offenstehen. Für Alfred Adler war die Vorstellung, mit einer elitären Herangehensweise nur Menschen zu helfen, die es sich auch leisten können, undenkbar. Er war das, was man einen Mann des Volkes nennt, und er wollte verstanden werden, nicht nur von Experten.

Und so entwickelte Adler die erste Form der Kurzzeittherapie, die im Umfeld von Ambulatorien und Erziehungsberatungsstellen optimal umgesetzt werden konnte. Adler kümmerte sich auch um körperlich kranke Patienten, und es war ihm ein Anliegen, seine Veröffentlichungen in einer verständlichen Sprache zu verfassen. Doch seine grösste Stärke war ganz sicher seine Bereitschaft zuzuhören und das Gehörte bis ins Detail zu analysieren. Oft reichten nur wenige Sätze seines Gegenübers, um verständliche und nachvollziehbare Lösungen zu formulieren.

Der Mensch als unteilbares Wesen

Adler nannte sein System das der „Lehre des unteilbaren Menschen“. Und heute noch spielt dieser Ansatz eine wichtige Rolle bei der Ausbildung in psychosozialer Beratung. Damit kommen wir noch einmal auf den Anfang dieses Textes zurück, bei dem auf die Diskrepanzen zwischen Freud und Adler hingewiesen wurde. Diese beschränkten sich nicht auf das Problem von Freuds Dominanz, sondern betrafen ein weit grösseres Gebiet.

Denn Freud ging bekanntlich davon aus, dass die Persönlichkeit des Menschen immer gespalten sei und dass Teile des Menschen sich gegenseitig bekämpfen. Diese Vorstellung behagte Alfred Adler überhaupt nicht, sah er doch den Menschen als ein ganzheitliches Wesen an.

Für Adler und seine Arbeit spielte die Herangehensweise eine Rolle, dass das menschliche Verhalten immer zielgerichtet ist und diese Ziele einer individuellen Logik folgen. Adler wollte dieses Verhalten verstehen, und er war sich sicher, dass er dazu in der Lage sei, wenn er die privaten Ziele seiner Patienten kennt und versteht. Voll verstanden werden können diese Ziele jedoch nur, wenn man den systemischen Zusammenhang erkennt und begreift.

Laut der Individualpsychologie nach Alfred Adler lässt sich der Mensch als ein einzigartiges, schöpferisches und ganzheitliches Wesen verstehen. Er steht mit anderen Menschen in untrennbarer Beziehung und trifft zielgerichtet seine Entscheidungen. Dabei handelt er als selbst verantwortliches Einzelwesen.

Die soziale Zugehörigkeit und die soziale Gleichwertigkeit sind heute Werte, die in bestimmten Lebensbereichen zu verschwinden drohen oder aber zumindest stark in den Hintergrund rücken bzw. gerückt werden. Die Individualpsychologie kann hier helfen, weil sie die soziale Zugehörigkeit des Menschen betont. Für die psychosozialen Berater und psychosozialen Beraterinnen ist die Tatsache der sozialen Gleichwertigkeit, der Faden, der sich durch alle Beratungen zieht. Den Fokus darauf zu legen und den Menschen die Möglichkeiten zu geben, sich als ganzheitliche und soziale Wesen zu verstehen und sich sozial gleichwertig zu fühlen, ist unverzichtbar, um persönliche und berufliche Entwicklungen zu vollziehen und einen eigenen Weg zu gehen.

Somit hat Alfred Adler nichts von seiner Aktualität eingebüsst, im Gegenteil. Seine Lehre des ganzheitlichen Einzelwesens ist vielleicht sogar etwas, das die Zukunft der Menschen massgebend mitgestalten kann.

 

 

 

 

Comments are closed.

Diese Website benutzt Cookies. Wenn Sie die Website weiter nutzen, gehen wir von Ihrem Einverständnis aus.<br /> Lesen Sie unsere Datenschutzbestimmung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen