logo
logo

KI als Berater? Menschen sind in der Individualpsychologie nicht ersetzbar.

Künstliche Intelligenz in der Beratung: Darum ist der Mensch in der Individualpsychologie unersetzlich.

KI als Berater? Menschen sind in der Individualpsychologie nicht ersetzbar.

Tools auf der Basis von künstlicher Intelligenz erobern ein Berufsfeld nach dem anderen. In der Psychotherapie kommen bereits intelligente Apps zum Einsatz – auf Rezept. Müssen sich Ratsuchende darauf einstellen, in Coaching und Beratung bald einer Maschine statt einer Person gegenüber zu sitzen? Und fällt die erfüllende Tätigkeit von psychosozialen Berater/-innen der Digitalisierung zum Opfer?

In diesem Beitrag zeigen wir, in welchen Bereichen digitale Anwendungen bereits eingesetzt werden und wo deren Grenzen liegen. Ausserdem gehen wir der Frage nach, warum gerade Berater/-innen mit individualpsychologischem Hintergrund unersetzlich sind. 

KI in Therapie, Coaching und Beratung – die ersten Schritte sind getan.

KI-Tools wie ChatGPT kommunizieren sehr eloquent. Sie beherrschen die menschliche Sprache viel besser als Amazons Alexa oder Apples Siri. Das ist mit ein Grund für den Hype, den die Firma OpenAI heraufbeschwor, als sie im November 2022 ChatGPT der Öffentlichkeit präsentierte.

Im medizinischen Bereich existieren sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen (Digas) bereits seit einigen Jahren. Das sind Apps, die Therapie und Prävention unterstützten – von Depression bis Diabetes. Die neuesten Sprachmodelle werden auch in dieser Sparte einen weiteren Innovationsschub auslösen.   

Um jedoch die Möglichkeiten und Grenzen der Technik verlässlich einzuschätzen, ist es sinnvoll, ihre Funktionsweise in Grundzügen zu verstehen.

Sprachgewandt und trotzdem weder intelligent noch menschlich

Am Beispiel von ChatGPT lässt sich die Funktionsweise von künstlicher Intelligenz zeigen. Aktuell gibt es nur sogenannte schwache KI-Anwendungen. Das sind Systeme, die eine spezielle Aufgabe erledigen können – und zwar extrem gut. ChatGPT imitiert menschliche Sprache.

Das Tool basiert auf Algorithmen (Arbeitsanweisungen), die ChatGPT erlauben, Muster in menschlicher Sprache zu finden. Anders ausgedrückt: Das System wurde mit 100 Billionen Parametern gefüttert. Eine unvorstellbare Datenmenge! Aus diesen Daten hat der Algorithmus die Muster menschlicher Sprache herausgefiltert und Regeln ermittelt. Das geschieht mithilfe von Inferenzstatistik.

Sobald Sie ChatGPT eine Frage stellen, berechnet das Tool die Antwort. Es versteht den eigenen Output nicht.

Wie kann das sein?

Aus den Trainingsdaten leitet das Tool die Wahrscheinlichkeit ab, dass ein Wort auf ein anderes folgt. Daraus bildet es seine Sätze – ChatGPT ist eine wahnsinnig beeindruckende Rechen-Maschine.

Ein Beispiel:

Sprachgewandt und trotzdem weder intelligent noch menschlich

Auf „Guten …“ folgt also meist das Wort „Morgen“, die Häufigkeit für „Tag“ liegt auf Platz zwei.

Wäre ChatGPT ein Mensch, könnte seine Rolle anhand des „Chinesischen Zimmers“ beschrieben werden: Dieses Beispiel gilt in der Informatik als klassische Erklärung für die Funktionsweise von künstlicher Intelligenz. 

Eine Person, die keine chinesischen Schriftzeichen entziffern kann, befindet sich in einem Raum mit zwei Fenstern. Mitten im Zimmer steht ein Schreibtisch, darauf liegt ein Buch mit Übersetzungsregeln.

Die Person erhält durch eines der Fenster Schriftstücke mit Anweisungen in chinesischer Schrift. Sie muss diese Zeichen anhand der Vorgaben aus dem Buch in andere Zeichen übertragen (wenn-dann-Regeln) und ihre Aufzeichnungen durch das zweite Fenster reichen. Die Person kann weder das eingehende Schriftstück noch die Übertragungsregeln im Buch entziffern. Sie befolgt blind die Wenn-Dann-Regeln. Genauso arbeitet ChatGPT. (vgl. Russel & Norvig, 2021, S. 1036) 

KI in der Psychotherapie – und auch für Coaching und Beratung?

In der Psychotherapie kann künstliche Intelligenz als App auf Rezept schon heute Fachpersonal unterstützen. Diese digitalen Gesundheitsanwendungen sind Medizinprodukte, sie müssen hohe Qualitätsstandards erfüllen und unterliegen strengen Datenschutzrichtlinien. 

Eine App wie Deprexis kann eine Verhaltens- oder Gesprächstherapie begleiten, indem sie

  • an die Medikamenteneinnahme erinnert,
  • regelmäßig die aktuelle Stimmung der Nutzer*innen ermittelt,
  • Entspannungsübungen vorschlägt und anleitet,
  • Nutzer/-innen über Ursachen und Symptome ihrer Erkrankung informiert und
  • im Notfall kontaktiert sie eine vorab festgelegte Vertrauensperson.

Damit entlastet eine digitale Anwendung das Fachpersonal und unterstützt Patient/-innen in ihrem Alltag. Insofern ist eine gewisse Begeisterung über diese Innovation angemessen.

Die Grenzen von KI und die Folgen für die psychosoziale Beratung

Das eben genannte Beispiel zeigt auch: KI-gestützte Anwendungen stossen an Grenzen. Sie können verlässlich Routineaufgaben übernehmen und helfen Betroffenen, die oft langen Wartezeiten zwischen den Therapie- oder Arztterminen zu überbrücken. Entwicklungsprozesse gezielt anstossen und individuell begleiten können sie bis auf Weiteres nicht. 

In der Individualpsychologie steht die Interaktion von Mensch zu Mensch im Mittelpunkt. Alfred Adler erkannte als einer der ersten, wie zentral die Begegnung auf Augenhöhe sowie Ermutigung durch eine reife Persönlichkeit für die Entwicklung eines Menschen sind. Eine Maschine kann diese Aufgabe nicht erfüllen – alleine schon deshalb, weil sie nicht menschlich ist. 

Ehrlicherweise kann niemand in die Zukunft blicken. Eine Diskussionsrunde aus dem Programm der Deutschen Welle mit dem KI-Pionier Professor Schmidhuber vermittelt einen bodenständigen Eindruck von den Möglichkeiten der KI. (vgl. Schumacher, 2023). Die beteiligten Expert*innen nehmen eine sachliche Position ein, die in den meisten Formaten genauso wie im Alltag fehlt. Dies liegt unter anderem an der menschlichen Wahrnehmung.

Darum überschätzen wir die Fähigkeiten einer künstlichen Intelligenz

Darum überschätzen wir die Fähigkeiten einer künstlichen Intelligenz

Wir Menschen ordnen Eindrücke und Erfahrungen in Kategorien ein. Fehlende Informationen werden durch eigene Annahmen ergänzt.

Das bedeutet in diesem Fall: Wer auf einen Computer trifft, der wie ein Mensch quasselt, schreibt ihm automatisch weitere menschliche Fähigkeiten – vielleicht sogar ein Bewusstsein – zu. Die Vorstellung, dass diese so menschlich kommunizierende Maschine die Antworten berechnet, ist für technische Laien schwer vorstellbar.

ChatGPT hat kein Bewusstsein. Das würde bedeuten, das Tool würde sich selbst erkennen, über sich reflektieren und sein Verhalten entsprechend anpassen. Dies ist nicht möglich, weil aktuelle KI-Systeme ihren eigenen Algorithmus nicht verändern können. Forschende sind noch weit davon entfernt, ein solches System zu entwickeln. 

Die Fähigkeiten zur Reflexion und Selbststeuerung nutzt und fördert die Individualpsychologie. Damit liegt sie jenseits des KI-Einsatzgebietes.

Ein Hinweis: Unabhängig von den nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten, liegen die rechtlichen Hürden für solche Anwendungen extrem hoch. Die EU hat inzwischen eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von KI geschaffen und wird sie weiter ausbauen.

Übrigens: das Folgende sagt ChatGPT zu seiner Rolle als Berater…  

Der Mangel an emotionaler Intelligenz und zwischenmenschlicher Interaktion stellt eine bedeutende Grenze bei der Anwendung digitaler Tools und KI in der Beratung dar. Obwohl diese Technologien fortschrittliche analytische Fähigkeiten besitzen und in der Lage sind, große Mengen an Daten zu verarbeiten, fehlt ihnen die menschliche Empathie und die Fähigkeit zur intuitiven Interpretation von nonverbalen Signalen. In vielen Beratungssituationen ist es jedoch entscheidend, dass der Berater in der Lage ist, die emotionalen Bedürfnisse und Nuancen der Klienten wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.

Die zwischenmenschliche Interaktion spielt eine wichtige Rolle bei der Aufnahme einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Berater und Klient. Durch den direkten Kontakt können Vertrauen aufgebaut, Unsicherheiten ausgeräumt und individuelle Bedürfnisse besser erfasst werden.

Durch den Einsatz digitaler Tools und KI besteht jedoch die Gefahr, dass dieser persönliche Aspekt vernachlässigt wird. Die Kommunikation wird auf digitale Kanäle verlagert, die zwar bequem und effizient sein können, aber oft die subtilen nonverbalen Signale und Feinheiten der zwischenmenschlichen Interaktion nicht erfassen. Die Fähigkeit, Gestik, Mimik und Tonfall zu interpretieren, ist ein wesentlicher Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation, der digitalen Tools und KI oft fehlt.

Darüber hinaus kann der Mangel an emotionaler Intelligenz zu unzureichenden Lösungen führen. In komplexen Beratungssituationen sind Einfühlungsvermögen, Verständnis für individuelle Bedürfnisse und die Fähigkeit, emotionale Barrieren zu überwinden, von großer Bedeutung. Diese menschlichen Eigenschaften können nicht einfach durch Algorithmen und digitale Tools ersetzt werden. Die fehlende emotionale Intelligenz kann dazu führen, dass Klienten sich nicht ausreichend verstanden und unterstützt fühlen, was letztendlich zu suboptimalen Ergebnissen führen kann.

Individualpsychologie hat Zukunft

Individualpsychologie hat Zukunft

ChatGPT hat es gut beschrieben. Individualpsychologische Beratung hat ihren Platz in der digitalen Zukunft. Sie wird für Berater/-innen auch künftig eine erfüllende und wertvolle Tätigkeit bieten.

Sie werden Ratsuchende auf der Reise zu ihren Fähigkeiten und Talenten begleiten und sie unterstützen, neue berufliche Möglichkeiten auszuloten. Genauso werden sie die Menschen ermutigen, die gewonnenen Erkenntnisse für konkrete Schritte zu nutzen. Sie werden dabei helfen, dass Ratsuchende klar ihren Wert erkennen und selbstbewusst ihren Platz in der digitalisierten Welt einnehmen – auch wenn eine Maschine ihren bisherigen Job ganz oder teilweise übernimmt.  

Beratung hat folglich eine persönliche und eine gesellschaftliche Dimension. Der Vorteil der Individualpsychologie gegenüber anderen Beratungsansätzen: Das Konzept von Alfred Adler ist Langzeit-erprobt und gleichzeitig am Puls der Zeit. In unseren Fachartikeln finden sie weitere spannende und umfassende Informationen zur Individualpsychologie.

Herausforderungen für Beratungspersonen in der digitalen Gesellschaft

Erfolgreiche Beratungspersonen müssen jedoch stetig an ihrer eigenen Entwicklung arbeiten, um möglichst viele Menschen zu unterstützen. Denn: Ein Berater, eine Beraterin ist dem Ratsuchenden immer einen Schritt voraus. Anders gesagt: Je weniger eigene blinde Flecken eine Beratungsperson hat, umso klarer kann sie ihr Gegenüber in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen.

An der Akademie für Individualpsychologie legen wir grossen Wert auf die persönliche Entwicklung der Kursteilnehmer/-innen. Selbsterfahrung und die Fähigkeit zur Selbstreflexion sind genauso wichtig wie ein fundiertes, lebensnahes Konzept.

Gerne informieren wir Sie über Ihre Möglichkeiten zur Ausbildung in psychosozialer Beratung nach Individualpsychologie. Hier finden Sie die Termine für ein persönliches Kennenlernen. Sie möchten uns eine Nachricht senden? Nutzen Sie unser Kontaktformular.

Wir freuen uns auf Sie.

Quellen:

Russel, S. & Norvig, P. (2021). Artificial Intelligence. A modern approach. 4th.Edition. Pearson Education, Harlow.

Schumacher, Hajo (2023). Künstliche Intelligenz: Kontrolliert und manipuliert sie uns bald? Reihe: Auf den Punkt. Deutsche Welle. https://www.youtube.com/watch?v=WvndUxaQceQ. 21.07.2023.

 

Comments are closed.

Diese Website benutzt Cookies. Wenn Sie die Website weiter nutzen, gehen wir von Ihrem Einverständnis aus.<br /> Lesen Sie unsere Datenschutzbestimmung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen