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Psychosoziale Beratung und AD(H)S im Job: Fluch oder Segen?

Die Aufmerksamkeits- Defizit- Störung mit oder ohne Hyperaktivität, kurz: AD(H)S, hat keinen guten Ruf. Zwar ist der Umgang damit in vielen Ländern sehr unterschiedlich, doch oft läuft es auf die frühzeitige Vergabe von Medikamenten hinaus, um das Problem zu beherrschen. Dabei sind Menschen mit AD(H)S keineswegs ausschliesslich defizitäre Wesen, im Gegenteil: Sie zeichnen sich durch besondere Fähigkeiten und Möglichkeiten der Wahrnehmung aus. Als psychosozialer Berater richtet sich der Blick daher nicht in erster Linie auf mögliche Medikation, sondern vielmehr auf die Hilfe bei der Wahrnehmung.

Was zeichnet Menschen mit AD(H)S aus?

Nun, die Grenzen sind oft fliessend. Menschen können mit Fähigkeiten ausgestattet sein, die sie reizoffener machen, die ihre Sinne intensiver nutzen können als andere. Oft sind sie neugieriger als andere, gehen mit offenen Augen (und Sinnen) durch die Welt. Sie sind temperamentvoller als andere und lassen sich durch spontane Eingebungen lenken.

Hinzu kommt eine gesteigerte Intelligenz, und auch in Sachen Kreativität und Willenskraft erscheinen manche Menschen einfach besser aufgestellt als andere. Das führt naturgemäss auch dazu, dass diese Menschen im beruflichen Bereich besser als andere agieren. Man muss das auch gar nicht beneiden, denn jede Gesellschaft lebt von Vielfalt, von Unterschieden und vielen Formen der Begabung.

Doch all die hier genannten positiven Attribute bringen für Menschen mit AD(H)S ein Problem mit sich: Sie haben zu viel von diesen Eigenschaften. Denn die Reizaufnahme kann auch zu viel werden, was dann zu einer Beeinträchtigung führt, die Kapazität des Kurzzeitspeichers wird reduziert, die Emotionsimpulse können nicht mehr angemessen kontrolliert werden. Die Impulsivität nimmt also zu, die Fähigkeiten führen in diesen Fällen also eher zu beruflichen Nachteilen als zu Vorteilen.

In gewisser Weise kann man das mit Menschen mit einer Hypersensibilität vergleichen. Gehen solche Menschen über einen Rummelplatz, können sie das, was andere automatisch machen, nicht: Reize ausblenden. Sie nehmen also jedes Geräusch, jede Stimme, jede Musik gleichermassen wahr, können nicht selektieren, was für die eigene Wahrnehmung wichtig ist und was vernachlässigt werden kann.

Psychosoziale Beratung und AD(H)S im Job: Fluch oder Segen?

AD(H)S: Nicht neu, aber neu entdeckt

AD(H)S ist nicht neu, im Gegenteil. Heute stehen aber darüber mehr Informationen und Kenntnisse zur Verfügung. Doch das bedeutet in diesem Fall nicht zwingend, dass der Umgang mit AD(H)S leichter geworden ist. Denn auf der einen Seite lässt sich AD(H)S heute leichter erkennen und einordnen. Auf der anderen Seite sind die beruflichen Rahmenbedingungen für Betroffene schwieriger als in vergangenen Zeiten.

Menschen mit AD(H)S ecken oft an. Sie fallen auf, weil sie sehr intensive Menschen sind. Gleichzeitig neigen sie zu chaotischem Verhalten, sind sprunghaft, vergesslich und haben ein schlechtes Zeitmanagement. Für die psychosoziale Beratung sind hier zwar wichtige Ansätze zu finden, doch Kollegen, Freunde und Familienmitglieder sind oft überfordert mit der Situation.

Da auch Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Ungeduld ständige Begleiter von Menschen mit AD(H)S sind, fällt es dem Umfeld schwer, mit diesen Eigenschaften zurechtzukommen. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass viele der Betroffenen gar nicht wissen, dass sie AD(H)S haben. Ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen sucht daher gar nicht erst den Weg in die psychosoziale Beratung oder individualpsychologische Hilfe. Das führt im privaten Umfeld und im beruflichen Bereich zu zahlreichen Herausforderungen. Zwar verfügen Menschen mit AD(H)S häufig über gutes oder sogar aussergewöhnliches Potenzial. Doch ihre Schwächen kollidieren immer wieder mit dem starken Leistungsdruck, einer ständigen Zunahme des Arbeitstempos und dem wechselnden Verständnis von gerade geltenden Werten. Das führt zu häufigen Wechseln der beruflichen Tätigkeit, was eine psychosoziale Beratung noch wichtiger werden lässt, da hier ein gefährlicher Teufelskreis vorliegt.

Die Unwissenheit über die eigene AD(H)S-Diagnose ist übrigens weit verbreitet. Wenn man bedenkt, dass ca. vier Prozent der Betroffenen schon seit ihrer Kindheit an AD(H)S leiden, ist das eine besorgniserregende Tatsache. Halt macht AD(H)S übrigens nirgends, es lässt sich in allen Bevölkerungsschichten finden, von armen Menschen bis hin zu Führungskräften. Die Störung (die wahrscheinlich im Bereich des vererbten Hirnstoffwechsels angesiedelt ist) ist zwar bei den Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt, bleibt aber meist nicht folgenlos.

Seriöse psychosoziale Berater fokussieren sich auf das ressourcenorientierte Umfeld in Familien, Freundeskreis und im Beruf. Wie wir bereits herausgearbeitet haben, sind Menschen mit AD(H)S keine ausschliesslich defizitären Wesen (so wie man das von jedem sagen kann), sondern verfügen über teilweise grosse Begabungen, die nur richtig eingesetzt werden müssen. Je besser man es schafft, die Schwächen im Arbeitsleben in den Hintergrund zu rücken und die Stärken in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen, umso wahrscheinlicher ist es, dass Menschen mit AD(H)S einen ausgezeichneten Job machen können.

Wenn Menschen mit AD(H)S Aufgaben übertragen bekommen, die spannend und abwechslungsreich sind, können sie diese häufig nicht nur gut erledigen, sondern wachsen zuweilen auch über sich hinaus. Ist das Gegenteil der Fall, sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Falle. Werden uninteressante, monotone und überfordernde Aufgaben verteilt, kann das verheerende Folgen haben, die nicht selten auch mit weiteren gesundheitlichen Konsequenzen einhergehen. Arbeitgeber müssen das wissen, um einen Leistungsabfall, Mobbing, Burnout oder andere Auswirkungen zu vermeiden.

Man muss allerdings nüchtern festhalten, dass die optimalen Bedingungen im beruflichen Umfeld von Menschen mit AD(H)S nur selten gegeben sind. Das liegt an den genannten Rahmenbedingungen, die ein Maximum an Flexibilität, Stressresistenz und Tempo verlangen.

Trotzdem ist die Diagnose AD(H)S meist eine spürbare Erleichterung für die Betroffenen. Denn ohne diese Diagnose findet oft ein innerer Dialog statt, der mit sich selbst hart ins Gericht geht. Die Betroffenen fühlen sich defizitär und sind unzufrieden mit ihrer gesamten Persönlichkeitsstruktur. Die Diagnose AD(H)S kann hier zu einer Art Versöhnung mit sich selbst führen, weil sie für viele Verhaltensweisen eine Erklärung liefert.

Die therapeutischen Ansätze bei AD(H)S sind unterschiedlich und richten sich nach dem Leidensdruck und den konkreten Symptomen. Eine gute Methode ist etwa der multimodale Ansatz, der auf Aufklärung und eine verhaltenstherapeutisch orientierte Therapie setzt. Unter Umständen kann auch die Vergabe von Medikamenten eine Option sein, um die emotionale Stabilisation zu erzielen, kann eine Beratung sinnvoll sein.

Je nach Schwere sollte auf eine Therapie zwar nicht verzichtet werden, sofern jedoch die genannten typischen Probleme am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld sich in übersichtlichen Grenzen halten, reicht eine psychosoziale Beratung vielfach aus, um die gewünschte Stabilität zu erreichen.

Ein solche Beratung durch eine Person mit Ausbildung in psychosozialer Beratung sollte folgende Themen behandeln:

  • das Erfassen von aktuellen Schwierigkeiten
  • das Handlungsbewusstsein wecken
  • das Erkennen von Kommunikationsmustern
  • das Formulieren von realistischen Zielen
  • die Entwicklung von Problemlösungs-, Handlungs- und Selbsthilfestrategien
  • Time Management
  • die Erarbeitung von Arbeits- und Tagesplänen
  • differenzierte Feedbacks etc.

Die Aufgabe des AD(H)S-Beraters

Die Beratung von Menschen mit AD(H)S setzt ein grosses fachliches Wissen voraus. Der Berater muss sich also zum einen grundlegend mit dem Thema beschäftigt haben, aber darüber hinaus auch sein Wissen ständig aktualisieren. Er muss zudem empathisch sein, flexibel und verständnisvoll. Um dem Klienten den Sinn von strukturierter Arbeit deutlich machen zu können, muss der Berater selbst dies überzeugend vorleben können.

Wichtig bei der Arbeit mit Menschen mit AD(H)S ist die positive Herangehensweise. Es muss darum gehen, ressourcenorientierte Handlungen beim Klienten zu unterstützen und ihn bei der Umsetzung seiner gesetzten Ziele aktiv zu fördern. Eine psychosoziale Beratung kann sich im Falle des Themas AD(H)S auch über einen längeren Zeitraum erstrecken, sollte aber auf eine Beendigung der Beratung zu einem bestimmten Zeitpunkt abzielen.

Die Verantwortung der beratenden Person im Falle der psychosozialen Beratung von Menschen mit AD(H)S kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, die fachliche und menschliche Kompetenz des Beraters ist daher massgeblich mitentscheidend für den Erfolg der Beratung.

Letztlich trägt der Berater auch die Verantwortung dafür, ob eine Beratung überhaupt ausreicht, um das Problem zu behandeln. Je nach Ausprägung von AD(H)S kann zunächst eine therapeutische bzw. medizinische Behandlung angeraten sein. Es wäre also fatal, wenn ein Berater hier wegen Selbstüberschätzung Ziele anpeilt, die er faktisch (noch) nicht erreichen kann. Therapie und Beratung können unter Umständen auch Hand in Hand gehen oder sich gegenseitig ablösen. Doch diese Fragen müssen gewissenhaft und mit entsprechend fachlicher Kompetenz beantwortet werden.

Die gute Nachricht zum Schluss: AD(H)S bedeutet keinesfalls, mit der Diagnose allein und hilflos zu sein. Denn wenn erkannt wurde, wo die Ursache für das Leid fördernde Verhalten des Klienten liegt und wie es eingeordnet werden muss, lassen sich Strategien entwickeln, die das Leben mit AD(H)S deutlich leichter machen – und Möglichkeiten zutage fördern, die zuvor unmöglich schienen.

 

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