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KI, Empathie, Bewusstsein – sind Maschinen besser als wir?

Künstliche Intelligenz, Empathie, Bewusstsein und die besondere Rolle der Individualpsychologie

Künstliche Intelligenz, Empathie, Bewusstsein und die besondere Rolle der Individualpsychologie

Künstliche Intelligenz (KI) fasziniert und verunsichert viele von uns. Vor allem deshalb, weil KI-Systeme wie ChatGPT in sehr kurzer Zeit immer neue Fähigkeiten entwickeln. In der Medizin und im Marketing kommen bereits Systeme mit künstlicher emotionaler Intelligenz zum Einsatz. Werden Maschinen uns bald besser verstehen als psychosoziale Berater/-innen oder unser Freundeskreis?

Dieser Beitrag zeigt, wie Sie KI-Systeme in Bezug auf Empathie und Bewusstsein bewerten können. Ausserdem skizziert er die besonderen Stärken der Individualpsychologie, die im KI-Zeitalter besonders wertvoll sind.

Empathie bei KI-Systemen – echt jetzt?

Der Begriff Empathie bezeichnet die Fähigkeit, Gefühle und Gedanken eines anderen zu verstehen und zu teilen. Die Psychologie unterscheidet hier zwischen emotionaler Empathie und kognitiver Empathie. Dabei meint emotionale Empathie das „Mit-Fühlen“, während kognitive Empathie bedeutet, die Gedanken, Werte und Motive des Gegenübers nachzuvollziehen.

Empathie ist eine wichtige menschliche Eigenschaft, die es uns ermöglicht, Beziehungen zu anderen aufzubauen und zu pflegen. Am eindrücklichsten lässt sie sich im Gespräch erkennen. Überlegen Sie kurz: Wann empfinden Sie eine Unterhaltung als besonders wertvoll, angenehm und verbindend? Die meisten Menschen müssen sich dafür verstanden und angenommen fühlen. Ein Gespräch muss fliessen – das kann es nur, wenn die Beteiligten die Gefühle und Gedanken des jeweils anderen erkennen und wechselseitig darauf eingehen.  

Künstliche emotionale Intelligenz: ein faszinierendes Tool

KI-Forschende haben in den letzten Jahren viel Zeit in die Entwicklung von KI-Systemen gesteckt, die in der Lage sind, empathisch zu reagieren. Ein Beispiel – aktuell nur in englischer Sprache – ist PI von der Firma Inflection AI.

Das Entwickler-Team bezeichnet PI als persönlichen Assistenten. PI erkundigt sich nach dem aktuellen Befinden, fragt, wie der Tag gelaufen ist und gibt Tipps, um die Stimmung zu verbessern oder Konflikte zu lösen. Das Gespräch mit PI wirkt beinahe freundschaftlich. Sie können sich selbst davon überzeugen. PI ist kostenfrei für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Über den Link im oberen Absatz gelangen Sie direkt in die Eingabemaske.

Die erste Begegnung mit PI kann erschrecken und faszinieren zugleich. Wie kann eine Zukunft mit solchen Maschinen aussehen?

Ersetzt PI künftig Berater/Beraterinnen und innige Freundschaften?

Natürlich kann niemand die Zukunft vorhersagen. Aktuell bietet PI freundlich-zugewandten Small-Talk. Bei ernsthaften, komplexeren Problemen bleibt die KI freundlich-unterstützend, inhaltlich ist sie überfordert. Eine weitere Einschränkung: PI kommuniziert nur schriftlich. 

Vielleicht wenden Sie ein, dass heute schon Pflegeroboter wie Lio in Alterszentren unterwegs sind. Sie spielen mit den Senioren und motivieren sie zu Gymnastikübungen. Stimmt. Doch sie befinden sich in der Testphase. Bis Ihnen Lio, Pepper und Co. auf einem Klinikflur oder im Altersheim ganz selbstverständlich begegnen, werden noch viele Jahre vergehen.[1] Die Technik ist noch nicht ausgereift, die rechtlichen Hürden für den Einsatz dieser Technik in einem sensiblen Bereich wie der Gesundheitsbranche liegen hoch.

Die Bereiche Beratung und Therapie sind mit einer allgemeinen Unterstützung im Alltag nicht vergleichbar. Sie stellen an Maschinen noch einmal höhere Anforderungen. Das Darüber hinaus belegen Studien aus der Therapieforschung eindeutig, dass die Beziehung zwischen Therapeuten/Therapeutinnen und Ratsuchenden den Erfolg der Intervention über alle Methoden hinweg stark beeinflusst.[2] Um eine belastbare, vertrauliche Beziehung zu schaffen, braucht es mehr als freundliche Zuwendung.

Freunde können einander umarmen, mit einem verständnisvollen Blick tiefes Verständnis ausdrücken, ein Präsent überreichen und Vieles mehr. Erfahrene Berater/-innen investieren unzählige Stunden in ihre Aus- und Weiterbildung, sie entwickeln ihre Persönlichkeit, um Ratsuchenden noch besser zu helfen – diese Art sozialer Unterstützung kann eine künstliche emotionale Intelligenz nicht bieten.

Ersetzt PI künftig Berater/Beraterinnen und innige Freundschaften?

Bewusstsein – eine menschliche Besonderheit?

Bewusstsein ist ein komplexer Begriff, der in der Psychologie und Neurowissenschaft unterschiedlich definiert wird.

Die Psychologie versteht Bewusstsein als das Erleben von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Es ist die Fähigkeit, sich seiner selbst und seiner Umwelt gewahr zu sein. So definiert es die American Psychological Association in ihrem Online-Lexikon.

Die Hirnforschung setzt Bewusstsein mit einer bestimmten Gehirnaktivität gleich. Sie geht davon aus, dass Bewusstsein aus der Interaktion von verschiedenen Gehirnregionen hervorgeht. Diese Regionen verarbeiten Sinnesinformationen, steuern Bewegungen und generieren Erinnerungen. Neurowissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass bisher keine abschliessende Definition von Bewusstsein existiert. Der Grund: Die Forschenden können noch nicht vollständig erklären, wie das Gehirn funktioniert.

Obwohl Psychologie und Hirnforschung den Begriff Bewusstsein unterschiedlich definieren, gibt es doch eine Gemeinsamkeit: Bewusstsein ist ein Zustand, der das Erleben von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen ermöglicht.

Künstliche emotionale Intelligenz: ein faszinierendes Tool

Kann KI ein Bewusstsein entwickeln?

Diese Frage diskutieren Forschende intensiv und gelangen zu unterschiedlichen Antworten.

Einige KI-Forschende gehen davon aus, dass KI-Systeme eines Tages über ein eigenes Bewusstsein verfügen könnten. Sie argumentieren, dass KI-Systeme immer intelligenter werden und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie diese Fähigkeit besitzen. Bekannte Vertreter/-innen dieser Perspektive sind Demis Hassabis von der Firma DeepMind (Google Bard) oder Ilya Sutskever von OpenAI (ChatGPT).

Andere KI-Forscher/-innen vertreten die Ansicht, dass eine künstliche Intelligenz niemals ein Menschen-ähnliches Bewusstsein erreichen wird. Sie begründen ihren Standpunkt folgendermassen: Bewusstsein entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel von Nervenzellen. Der Mensch kann sein Bewusstsein lenken, etwa durch Achtsamkeit. So können wir zum Beispiel unsere Sinneseindrücke gezielt analysieren und zu einem Gesamteindruck verbinden.

KI-Systeme sind in der Lage, riesige Datenmengen zu analysieren. Deshalb beeindruckt uns ihre Leistungsfähigkeit. Damit verfügen sie über einen einzigen Kanal zur Welt – im Gegensatz zu uns Menschen. Wir nutzen unsere Sinne und das Wissen, das wir von anderen erhalten.

Anders gesagt: Das menschliche Gehirn ist so komplex, weil es Informationen über die verschiedensten Kanäle empfängt, auswertet und zusammenführt. Ein Bewusstsein, das dem des Homo Sapiens ebenbürtig ist, wird sie auf absehbare Zeit nicht entwickeln.

Diesen Standpunkt vertreten zum Beispiel Prof. Christian Koch vom Allan’s Institute in Seatle und Prof. Maren Urner von der Hochschule Köln.

Tipp: Es kann für Sie hilfreich sein, diesen Beitrag auf unserer Website zu lesen. Er erklärt unter anderem, wie künstliche Intelligenz grundsätzlich funktioniert.

Individualpsychologische Beratung

Individualpsychologie kann helfen, künstliche Intelligenz besser zu verstehen.

Warum ist ausgerechnet die Individualpsychologie von Alfred Adler so geeignet, in der aktuellen Situation eine Orientierung zu bieten? Erstens ist sie ein Langzeit-erprobtes psychologisches Konzept, das seinen Nutzen seit rund einhundert Jahren immer wieder bestätigt. Sie bietet folglich Beständigkeit in einer Zeit grosser Veränderung.

Zweitens legte Alfred Adler seinen Fokus auf die Einzigartigkeit jeder Person. Er ging davon aus, dass alle Menschen über ein inneres Entwicklungspotenzial verfügen und zu einer reiferen Persönlichkeit heranwachsen können. Der Mensch kann reflektieren und sein Dasein aktiv gestalten. Daraus folgt: Eine Maschine kann den Menschen niemals ersetzen oder gar übertrumpfen. KI muss nicht als Bedrohung wahrgenommen werden.

Drittens betonte Alfred Adler das tiefe Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Jedes Individuum möchte einen Platz in der Gemeinschaft einnehmen und seinen Beitrag für die Gruppe leisten. Die Folge: Künstliche Intelligenz kann diese Motive nicht nachvollziehen, sie kann lediglich theoretisch darüber referieren. Auf dieser Basis entsteht keine tragfähige Beziehung. Der Mensch braucht weiterhin andere Menschen und Gemeinschaft für ein erfülltes Dasein.

Viertens: Individualpsychologische Beratung unterstützt Ratsuchende unter anderem, ihre inneren Motive zu erkennen. Darüber hinaus analysieren Berater/-innen gemeinsam mit ihren Klient/-innen deren Verhaltensmuster und Glaubenssätze, die sie auf ihrem Weg behindern. Die Individualpsychologie geht davon aus, dass der Mensch seine inneren Muster bewusst erkennen und dadurch aktiv verändern kann. Der Satz enthält bereits die wichtigste Aussage: Persönlichkeitsentwicklung braucht Bewusstsein. Da künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit kein Menschen-ähnliches Bewusstsein entwickeln kann, wird sie keine authentische Unterstützung für persönliche Entwicklungswege bieten. 

Fazit

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist faszinierend. Sie kann uns im Alltag unterstützen und uns neue Perspektiven eröffnen. Doch egal wie menschlich sie wirkt: Wir müssen immer daran denken, dass KI-Systeme keine Menschen sind. Die tiefste Form von Verbundenheit erleben wir nur mit anderen Personen.

 

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[1]Vgl. Age-Stiftung: Projekt „Pflegeroboter in Alterszentren“. https://www.age-stiftung.ch/foerderprojekt/pflegeroboter-im-alterszentrum-emmersberg-schaffhausen/

[2]Hilbert, A., Martin, A. Wirkfaktoren des psychotherapeutischen Prozesses. Psychotherapeut 60, 185–186 (2015). https://doi.org/10.1007/s00278-015-0017-8

 

 

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